Lost on Nairne Island
Mittagessen morgen, oder?«, wollte Nicole wissen.
Ich warf ihr einen letzten Blick über die Schulter zu. Jetzt sah sie wieder aus wie der typische blonde Cheerleader. Ihr Gesicht war vom Wind leicht gerötet, und zum ersten Mal fiel mir auf, dass sie um die Nase und auf den Wangen ein paar helle Sommersprossen hatte. Was auch immer ich da vor einer Sekunde zu sehen geglaubt hatte, musste eine optische Täuschung gewesen sein. Offenbar hatte das Licht mir einen Streich gespielt. Oder mein Verstand. Ich holte tief Luft. Dass ich gerade einen kleinen Aussetzer hatte, war ja nur zu verständlich. Bei all den neuen Informationen und dem Gerede über Gespenster hätte sicher jede eine Panikattacke bekommen. Deswegen musste ich noch lange nicht verrückt sein.
»Ja, Mittagessen morgen wäre genial«, bestätigte ich. Damit schwang ich mir den Rucksack über die Schulter und wandte mich in Richtung Haus. »Danke fürs Mitnehmen.«
»Halte die Augen offen, Isobel«, rief Nicole mir noch zu, ehe sie den Rückwärtsgang einlegte, um den Wagen zu wenden. »Vergiss nicht, Geistern ist es egal, ob du an sie glaubst oder nicht. Sie können trotz allem an dich glauben.«
11
M om!«, rief ich, kaum dass ich die Tür aufgerissen hatte. Ich stand im Eingang und das Echo meiner Stimme drang durch die marmorne Halle und schallte von den Wänden wider. Ich hörte das Ticken der groÃen Standuhr im Wohnzimmer, aber es schien auch das einzige Geräusch zu sein. Es kam einem fast so vor, als hätte das Haus den Atem angehalten. Als wartete es auf etwas.
Wow. Ich musste echt aufhören, solche Gedanken zu haben, sonst würde ich noch durchdrehen.
Offenbar war keiner zu Hause. Daran war nichts ungewöhnlich. Im Grunde genommen hätte ich mich sogar darüber freuen können, dass ich die Hütte ganz für mich allein hatte. Ich blieb noch einen Moment stehen. Irgendwie hatte ich keine Lust, die Tür hinter mir zu schlieÃen; mir gefiel die Vorstellung, jederzeit abhauen zu können. Dann aber zwang ich mich, wie beim Yoga ganz tief Luft zu holen.
Ich schloss die Tür. Da lauerte kein Schwarzer Mann hinter der Treppe. Und keine Geister kamen aus Schränken hervor.
»Ich habe keine Angst«, redete ich mir ein und informierte so gleichzeitig das Haus darüber, nur für den Fall.
»Na, dann ist ja gut«, sagte da eine Stimme.
Ich stieà ein Kreischen aus und wirbelte herum.
Nathaniel kam gerade durch die Schwingtür aus der Küche. Im Mund hatte er einen Bagel. Er blickte sich um.
»Was ist los?«, fragte er.
»Was los sein soll? Willst du, dass ich hier freidrehe? Warum hast du nichts gesagt, als ich reinkam und gerufen habe?«
»Hatte ja keine Ahnung, dass ich das sollte. Du hast schlieÃlich nach deiner Mom gerufen. Woher hätte ich wissen sollen, dass ich wie beim Appell meine Anwesenheit kundtun muss.« Nathaniel sah mich an. Sein Blick wurde etwas sanfter und mit leiserer Stimme fuhr er fort: »Alles in Ordnung mit dir?«
Das war jetzt die Eine-Million-Dollar-Frage, oder? Dadurch, dass ich geschrien hatte wie ein kleines Mädchen, nur weil mir jemand eine Geistergeschichte erzählt hatte, schien »alles bestens« wohl nicht unbedingt als überzeugende Antwort durchzugehen. Da erst bemerkte ich, dass Nathaniel ein Messer in der Hand hielt. Ein höllisch scharfes Messer. Mein Blick blieb an der Klinge haften. Dann wich ich ein paar Schritte zurück, bis ich mit dem Rücken gegen die Haustür stieÃ.
»Das hat wirklich nicht lang gedauert«, sagte Nathaniel.
Ich wandte den Blick von dem Messer ab und sah ihm ins Gesicht. »Wovon redest du?«
»Na sag schon, wer hat es dir erzählt?«
»Niemand hat mir irgendwas erzählt«, erwiderte ich und gab mir alle Mühe, möglichst entspannt zu klingen.
»Haben sie dir erzählt, dass ich ein Mörder bin, oder hast du die Version gehört, in der mein Dad der Mörder ist? Klar kann das, was passiert ist, kein Unfall gewesen sein. Ich hoffe nur, wer auch immer dich informiert hat, hat dir auch vom Wickham-Familienfluch erzählt.«
»Ich hab echt keinen Schimmer, wovon du redest.« Mein Blick flackerte zurück zu dem Messer.
»Ich hab mir gerade einen Bagel geschmiert.« Nathaniel hielt das Messer hoch, sodass ich einen Rest von Frischkäse an der Schneide sehen konnte.
»Oh.« Ich wünschte,
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