Lost Place Vienna (German Edition)
Verstehe.
Der Fall ist sehr prekär, da stören Amateurdetektive mehr, als dass sie helfen
… Aber wenn Sie etwas gesehen haben, können Sie gerne morgen früh aufs Revier
kommen … Hallo?«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung antwortete nicht mehr.
Valentina sah aufs Display, der Anrufer hatte die Nummer unterdrückt. Sie ging
zu Zirner zurück.
»Ein Typ, der uns beim Ermitteln helfen will. Ich soll mich mit ihm
treffen.«
»Hat er einen Namen genannt?«
»Nein. Er habe nur einen Verdacht.«
»Vergiss es. Der Kerl hat dich im Fernsehen gesehen und ist scharf
auf dich. Stand dir aber auch wirklich gut. Mit dem Look traue ich dir sogar
noch bei uns eine Karriere zu.«
»Es reicht. Ich habe es verstanden.«
»Gönn einem alten Mann seinen Spaß. Zahlen, bitte.«
»Kommst du noch mit?«, fragte Valentina.
»Wohin?«
»Zum letzten Fundort.«
»Es ist dunkel.«
»Es war auch dunkel, als der Mörder den Kopf dorthin gebracht hat.«
»Ist das sicher?«
»Als er den ersten Kopf hier hereingelegt hat, war es mit Sicherheit
dunkel. Und da er ein Ritual verfolgt, wird er auch das zweite und dritte Opfer
bei Nacht ausgestellt haben.«
»Du hast wahrscheinlich recht. Aber ich bin verdammt müde, und
morgen will Bauer einiges hören und sehen. Da muss ich wach sein.«
»Verstehe. Dann setz mich einfach dort ab.«
»Wirklich? Der Ort ist nicht gerade einladend.«
»Das ganze Leben ist keine Einladung.«
»Ich sage jetzt nichts mehr dazu. Du hast ohnehin immer das letzte
Wort. Hast du vielleicht auch einen Fünfer? Mein Beutel war nämlich nicht
vorbereitet auf ein Abendessen.«
»Dein Beutel ist nie vorbereitet auf ein Abendessen.« Valentina
kramte in ihrem Portemonnaie und reichte Zirner einen Geldschein.
»Wie du schon sagtest. Das Leben ist keine Einladung.«
* * *
Das Licht einer Tankstelle und zweier Straßenlaternen
beleuchtete die Brünner Straße nur spärlich. Aber es fuhren noch genügend
Autos, deren Scheinwerfer in unregelmäßigen Abständen einzelne Flecken der
gegenüberliegenden Häuserfront erhellten.
Valentina stand zurückgezogen im Eingang eines Uhrengeschäfts und
sog die Atmosphäre des nächtlichen Orts ein. »Warum Romane?«, fragte sie sich
halblaut. Es gab keine Woche, in der sie nicht einen verschlang. Dabei war für
sie die literarische Qualität der Autoren sekundär. Ihr ging es um die Fälle,
die Spielerei zwischen Phantasie und Fakten. Manche Geschichten waren so weit
von der Realität entfernt, dass sie sich darüber kugelte vor Lachen, aber sie
ärgerte sich nie. Die Geschichten waren von Menschen erdacht, selbst wenn sie
noch so unlogisch waren. Manche Morde hatten eben keine Logik, jedenfalls keine
sichtbare. Zwar wusste sie, dass das menschliche Hirn sich immer logische
Verknüpfungen erstellte, um für sich einen strukturierten Kosmos zu erhalten, aber
gerade der offensichtlich unlogische Sprung und die oft im Nachhinein gebeugte
Story eines schlechten Krimis waren es, die für Valentinas Arbeit von Wert
waren.
»Romane«, wiederholte sie und spielte mit dem Wort. »Romane,
romantisch, romanisch …«
»Die Meuterei auf der Bounty« und »Die drei Musketiere« waren
Romane, die Herkunft der Lokalbesitzer war der romanische Sprachraum. Waren die
Frauen auch südlicher Herkunft? Ihr Aussehen ließ darauf schließen. Valentina
musste unbedingt ihre Identität erfahren. Vielleicht waren sie keine
Zufallsopfer eines Serienmörders, sondern gezielt ausgesucht worden; vielleicht
sollte es nur für die Öffentlichkeit nach Serientäter stinken, tatsächlich
steckte eine andere Absicht dahinter. Die Tätowierung. Es war ihr klar, dass
der Täter wusste, dass sie die Tattoos finden würden. Er wollte, dass sie im
Bilde war. Aber worum ging es ihm? Wusste er von den drei Punkten hinter ihrem
Ohr? Es durfte nicht sein.
Sie hielt inne. Warum rückten die Mediziner erst heute mit der Tätowierung
heraus? Sie mussten sie doch schon bei dem ersten Opfer gefunden haben.
Valentina hatte von Anfang an Zirner mit den Medizinern arbeiten lassen. Er
hatte den besseren Draht zu ihnen. Hatte er die Information zurückgehalten?
Hatte er bis jetzt damit gewartet? Wenn ja, warum? Wusste Zirner um ihre
Tätowierung? Was wurde gespielt? Sie brauchte Informationen. Jetzt. Sofort.
Plötzlich bekam sie Angst um Burak. Wenn Zirner falsch spielte, wäre Burak in
Gefahr. Sie wählte ihn an.
* * *
»Noch drei Spritzer«, rief Toby.
»Für mich nicht. Mir reicht’s«, sagte Nicola
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