Lost Princesses 01 - Der Lord Und Die Rebellin
für Amy sorgen. Sie musste sie nach Hause bringen, bevor das Schicksal zuschlug. Dieses Desaster, das ihr Land bereits überwältigt hatte.
Amy schob ihre Haube zurück, und ihr schwarzes Haar fiel ihr weich ins Gesicht. »Aber Betty, wir können nicht allein reisen. Du musst uns helfen.«
»Das werde ich auch.« Betty grub ihre Hand in die große Tasche ihrer Schürze und zog eine Hand voll Münzen heraus. Sie steckte sie durch das Gitter. »Das ist alles Geld, was wir in der Küche einsammeln konnten. Joyce und ich haben alles gegeben, was wir hatten. Die anderen haben auch etwas dazugetan. Wenn Ihr vorsichtig seid, dann kommt Ihr damit eine Woche aus.«
Eine Woche!
Mit zitternden Fingern nahm Clarice die Münzen an. »Danke, Betty. Du hast uns ungeheuer geholfen. Wenn jemand aus Beaumontagne zur Schule kommt, dann sag ihnen, dass wir... dass wir auf dem Heimweg sind. Und jetzt geh wieder hinein. Es ist kalt, und du hast keinen Umhang.«
»Ja, Eure Hoheit.« Betty machte einen Knicks, lief zum Haus zurück, blieb einmal kurz stehen, drehte sich um, machte noch einen Knicks. Ihr schlichtes Gesicht verzog sich voller Sorgen, als sie ihre Prinzessinnen ansah. »Gott begleite Euch auf Eurem Weg!«
»Nein!« Amy sprang vor und reckte ihre kleinen dürren Ärmchen durch das Gitter. »Du schreckliche, furchtbare …!«
Clarice packte Amy am Arm und zog sie herum, zurück auf die Straße.
»Was machst du denn da?«, protestierte Amy. »Großmutter hat uns gesagt, dass sie auf uns aufpassen sollte, und sie lässt uns einfach im Stich. Und du lässt das zu!«
»Ich lasse gar nichts zu. Ich beuge mich nur der Realität. Sie wird nicht mit uns gehen. Und wenn du dich recht erinnerst: Das Letzte, was Großmutter uns gesagt hat, war, dass eine Prinzessin immer mutig ist, ganz gleich, wie die Umstände sind. Sie ist freundlich zu ihren Untergebenen, und immer höflich.« Clarice seufzte bebend. »Also habe ich einfach nur ihren Anweisungen gehorcht.«
»Großmutters Anweisungen sind dumm. Das weißt du. Wer will überhaupt eine Prinzessin sein?« Amy riss sich los. »Vor allem jetzt, wenn es nur Ärger bedeutet und wir keine Privilegien haben.«
»Wir sind, was wir sind. Prinzessinnen von Beaumontagne.«
»Aber das müssen wir nicht sein«, widersprach Amy säuerlich. »Wir sind ganz allein hier draußen. Wir können das sein, was wir sein wollen.«
Als sie die Hauptstraße erreichten, antwortete Clarice nüchtern: »So einfach ist das nicht. Wir sind das, wozu wir geboren wurden.«
»Wir sind die, zu denen wir uns machen«, erklärte Amy.
Clarice stand auf einer Wiese in der Nähe eines kleinen Gehölzes. »Wenn wir wieder in Beaumontagne sind, wirst du das anders empfinden.«
»Nein, werde ich nicht!«
Clarice hob den Kopf und ließ ihren Blick über die Durchgangsstraße gleiten. In den Hecken hingen trockene Blätter, die der frische Wind auch über die leere Landstraße trieb. Über ihren Köpfen türmten sich drohend graue Wolken. Und sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, welche Richtung man zur Herberge einschlagen musste. Sie hatte vorher nie darauf geachtet. Das musste sie auch nicht, denn es hatte sie immer jemand abgeholt, sie gebracht, sie geführt... Sie war siebzehn Jahre alt und hatte keine Ahnung, wie sie sich in der Welt zurechtfinden sollte. Sie musste Amy zur Seite stehen, bis sie wieder nach Hause gehen konnten, und doch wusste sie nicht einmal, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Am liebsten hätte sie sich auf den Boden geworfen, zusammengerollt und geheult.
Dann sprang etwas Großes, Dunkles aus dem Gehölz auf sie zu.
Es war ein Mann, ein großer, massiger, bedrohlicher Mann.
»Geh weg!,« kreischte Amy.
Er packte Clarice’ Arm mit seiner eisernen Faust und zerrte sie zwischen die Bäume.
Sie schrie. Es war ein einziger, langer, dünner Schrei.
Der Mann zog sie hinter einen Baumstamm und ließ sie los. »Keine Angst, Eure Hoheit!«, sagte er, bevor sie weglaufen konnte. »Erinnert Ihr Euch an mich?«
Das tat sie. Diese raue Stimme konnte nur einem Menschen gehören, einem einzigen Mann. Sie legte ihre Hand über ihr Herz, das rasend schnell schlug. »Godfrey!«
Er sah vollkommen anders aus als alle anderen Männer in ihrem Land. Er war blond, hatte blaue Augen, und seine Arme waren viel zu lang, selbst für seinen hünenhaften Körper. Seine mächtigen, hängenden Schultern und sein Bauch hätten einem Hafenarbeiter alle Ehre gemacht, und seine Nase und Lippen
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