Lost Princesses 01 - Der Lord Und Die Rebellin
sahen aus, als wären sie von zu vielen Kämpfen umgeformt worden. Aber er trug vornehme Kleidung, sprach wie ein Höfling und stand schon länger in Großmutters Diensten, als Clarice lebte. Er war Großmutters Kurier gewesen, ihr persönlicher Kammerdiener, ihr loyaler Gesandter. Was immer Königin Claudia regeln wollte, Godfrey tat es für sie.
Als sie ihn sah, fiel Clarice eine zentnerschwere Last von den Schultern. »Dank sei Gott, dass Ihr uns gefunden habt!«
Amy schlang ihre Ärmchen um Clarice’ Taille und starrte den Mann finster an. »Ich weiß nicht, wer du bist! Wer bist du?«
Er verbeugte sich vor beiden Mädchen. »Ich bin ein Diener der Königinwitwe Claudia. Sie vertraut mir vollkommen.«
Amy musterte ihn misstrauisch. »Wirklich?«
Clarice umarmte Amy beruhigend. »Wirklich. Großmutter setzt Godfrey ein, wenn sie wichtigste Nachrichten in weit entfernte Länder übermitteln will.« Aber warum war er hier. Jetzt? »Geht es um Großmutter?«, erkundigte sie sich ängstlich. »Ist sie...?«
»Ihr geht es gut!« Seine blassblauen Augen bohrten sich in Clarice und dann in Amy. »Aber die Revolutionäre überrennen das Land, und sie hat mich geschickt, um Euch zur Flucht zu drängen!«
In Clarice’ Erleichterung mischte sich Entsetzen. »Fliehen? Warum? Wohin?«
»Männer jagen Euch. Sie wollen Euch umbringen, um die königliche Familie von Beaumontagne auszurotten. Ihr müsst aufs Land flüchten«, stieß er eindringlich hervor. »Und dort so lange bleiben, bis Ihre Majestät Eure Rückkehr befiehlt.«
Amy musterte ihn immer noch argwöhnisch. »Wenn wir uns verstecken, wie will sie uns da finden?«
»Sie hat mir gesagt, nur mir, dass sie eine Anzeige in allen Zeitungen Englands aufgeben wird, wenn die Zeit für Eure Rückkehr gekommen sein wird. Ihr dürft niemandem glauben, der Euch aufsucht und Euch sagt, es wäre nicht mehr gefährlich zurückzukehren. Wenn sie nichts von ihr Geschriebenes vorzuweisen haben, könnt Ihr davon ausgehen, dass es Verräter sind. Ich habe« - er griff in den Beutel, der an seinem Gürtel hing - »ihren Brief hier.«
Clarice riss ihm das Schreiben aus der Hand, brach das Siegel ihrer Großmutter und las die kurzen Anweisungen. Mit jedem Wort wurde sie mutloser. Dann gab sie ihn Amy. »Ihre Anordnung ist eindeutig. Lauft weg und versteckt Euch, bis es hier wieder sicher ist.« Ihre Stimme
zitterte, als eine schwache Hoffnung sie durchfuhr. »Aber Ihr geht mit uns, Godfrey, oder?«
Er richtete sich auf. »Das kann ich nicht. Ich muss Sorcha warnen.«
Zum ersten Mal an diesem langen, fürchterlichen Tag empfand Clarice so etwas wie Freude. »Sorcha! Ihr könnt uns zu Sorcha bringen?«
Einen Moment wirkte er bestürzt. »Nein. Nein, das kann ich nicht.«
Amy schaute von dem Brief hoch. »Aber Ihr habt gerade gesagt, dass Ihr auch Sorcha suchen sollt.«
»Die Befehle meiner Königin lauten, dass die Kronprinzessin von Euch getrennt bleiben soll.« Er ließ die Mundwinkel hängen. »Es tut mir sehr leid, aber Ihr beide seid in Zukunft auf Euch allein gestellt.«
»Großmutter würde uns nie ohne eine Gouvernante wegschicken«, erklärte Amy.
Godfrey schaute sie verärgert an. »Kleine Prinzessin, nur der verzweifelten Zeiten wegen hat sie diesem Plan zugestimmt.«
»Wir wollen Sorcha sehen«, meinte Amy mit der Dickköpfigkeit eines kleinen Kindes. »Sie ist unsere Schwester.«
Godfrey sah sich furchtsam um. »Eure Hoheiten, diese Maßnahme dient sowohl Eurem Schutz als auch dem von Sorcha. Und außerdem fürchte ich, dass man mir folgen könnte.«
Clarice sah sich um. Zuvor hatte sie sich nur darüber Sorgen gemacht, wie sie den Winter überleben sollten. Jetzt fragte sie sich, ob sie überhaupt überleben würden.
Godfrey zog eine Börse aus der Gürteltasche, die prall mit Münzen gefüllt war, und reichte sie Clarice. »Das
wird Euch durch den Winter bringen. Jetzt müsst Ihr sofort weiterreisen. Steigt in Ware in die Kutsche und fahrt so weit weg, wie Ihr könnt. Geht. Schnell. Schaut nicht zurück.« Er schob sie aus dem Wäldchen. »Und vertraut niemandem.«
12
Große Geister denken gleich. Vor allem, wenn sie weiblich sind.
DIE KÖNIGINWITWE VON BEAUMONTAGNE
D ie Morgensonne schien Clarice ins Gesicht, als sie in ihrem Reitkostüm durch die Küchengärten zu den Ställen eilte. Sie musste einfach vor den kichernden Mädchen und ihren kuppelnden Müttern flüchten, vor den unverschämten und verstohlenen Forderungen
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