Lost Princesses 01 - Der Lord Und Die Rebellin
Kränkung die Augen aus.
Doch schließlich konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick auf die Person zu werfen, die sich solche Mühe gab, von ihr nicht gesehen zu werden.
Am Ende eines langen Pfades stand eine kleine weiße Laube, die von Hecken geschützt und mit rosa Kletterrosen überwuchert war. Durch die Blüten spähte Millicent zu Clarice hinüber. Sie wirkte verhärmt und besorgt. Clarice hätte ihren Wunsch nach Privatheit respektiert und winkte nur, während sie vorüberging, doch in dem Moment leuchtete Millicents Gesicht auf. »Eure Hoheit!«, rief sie. »Ich bin so froh, dass Ihr es seid!«
Clarice war ebenso froh, dass es niemand anders war. Millicent unterschied sich völlig von ihrem Bruder. Anscheinend hatte er die gesamte Arroganz und den Zynismus der Familie Hepburn mit der Muttermilch aufgesogen. Millicent war ruhig, freundlich, und in ihrer Nähe fühlte man sich wohl. Ihr Bruder dagegen war ein aufdringlicher Schuft.
Aber Clarice wollte heute nicht an ihn denken und ganz bestimmt nicht mit ihm reden. Jedenfalls nicht, wenn sie es vermeiden konnte.
Sie zögerte und blieb vor einer Lücke in der Hecke stehen. »Guten Morgen, Lady Millicent«, sagte sie. »Welch ein wunderschöner Morgen für einen Ausritt. Mögt Ihr mich begleiten?«
Millicents Gesicht wurde lang. »Danke, aber ich reite nicht gut, und ich würde Euch bestimmt das Vergnügen mit Eurem prachtvollen Hengst verderben.«
Clarice richtete sich in gespieltem Hochmut auf. »Bin ich denn schon so überheblich geworden, dass ich meine Gefährten nach ihrer Reitkunst aussuche?«
»Nein! Ich wollte nicht sagen...« Millicent lächelte plötzlich. »Ihr neckt mich.«
Clarice erwiderte das Lächeln. »Erraten.«
»Kommt doch und setzt Euch einen Augenblick zu mir. Wir könnten über den Ball sprechen. Gestern Abend sind wir nicht mehr dazu gekommen.«
Das Letzte, worauf Clarice Lust hatte, war, über diesen vermaledeiten Ball zu plaudern, das heißt, es war fast das Letzte, wonach ihr der Sinn stand. Nur mit Hepburn zu reden wäre noch schlimmer gewesen.
Obwohl sie gern erfahren hätte, ob er sich verletzt hatte. Doch Millicent trug wahrscheinlich schon mit der Organisation des Balles genug Verantwortung auf ihren schmalen Schultern. Und wenn ihr ein Gespräch half, würde Clarice ihr eben den Gefallen tun.
Nachdem sie herausgefunden hatte, was mit Hepburn passiert war. Sie stieg die Stufen zur Laube hinauf. »Ich nehme an, Eurer Schwester geht es heute Morgen gut?«, fragte sie ausgesucht beiläufig. »Und wie geht es Eurem Bruder?«
Millicent sah sie etwas überrascht an. »Ich glaube, es geht ihnen beiden gut.«
»Schön. Sehr schön.« Clarice setzte sich auf eine der weiß lackierten Bänke. »Habt Ihr sie schon gesehen?«
»Prudence? Ihr beliebt zu scherzen! Sie steht frühestens gegen Mittag auf.« Millicent setzte sich ebenfalls hin. »Ich erzähle dem Mädchen immer wieder, dass sie keine Königin ist, aber sie hört nicht auf mich. Habt Ihr jeden Tag bis zum Mittag geschlafen?«
»Keineswegs. Das hätte Großmutter niemals erlaubt.« Clarice achtete nicht auf das, was sie sagte, weil sie überlegte, wie sie mehr Informationen über Hepburn herausbekommen konnte, ohne dass es auffiel. »Wir mussten bei Sonnenaufgang
aufstehen und jeden Morgen eine Stunde spazieren gehen, bei jedem Wetter. Dann bekamen wir ein kräftiges Frühstück, das Großmutter zusammenstellte, und dann...« Sie unterbrach sich, als sie bemerkte, wie fasziniert Millicent ihr zuhörte. Clarice durfte nicht zu viel von sich selbst enthüllen. Nicht, dass Millicent sie wissentlich hintergehen würde, aber sie könnte vielleicht aus Versehen eine Bemerkung vor der falschen Person fallen lassen. Das könnte sich als tödlich erweisen, für Clarice und ihre Schwester. »Das ist schon lange her, und diese Prinzessin bin ich längst nicht mehr.«
»Was für eine Prinzessin seid Ihr dann?«, fragte Millicent neugierig.
»Eine Prinzessin, die hausieren geht.« Und offenbar auch, dachte Clarice, eine Prinzessin, die niemals herausfinden wird, wie es Hepburn geht.
»Ich habe die Geschichten über die Revolutionen gehört und habe mich oft gefragt, was mit den Menschen geschehen ist, die vertrieben wurden.« Millicent sah sie mitfühlend und freundlich an. »Jetzt weiß ich es. Sie kommen mir zu Hilfe.«
Während Clarice die Frau auf der Bank gegenüber musterte, fragte sie sich, wie sie Millicent jemals für schlicht hatte halten können.
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