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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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Woche.«
    »Fährst du schon wieder in Urlaub?«
    »Dienstreise.«
    »Sag ich doch.«
    Ich rufe an. »Ich wollte mit meiner Tochter mal vorbeikommen und uns eventuell anmelden.«
    »Das wäre schön«, kommt es vom anderen Ende. »Aber das geht leider nicht.«
    »Wieso?«
    »Wir schließen.«
    »Wieso?«
    »Wir sind politisch nicht mehr gewollt.«
    Es ist der letzte heilpädagogische Kindergarten in Köln.
    In unserem Viertel gibt es einen evangelischen Kindergarten, einen katholischen, einen privaten zweisprachigen und zwei Elterninitiativen. Es gibt keinen integrativen Kindergarten. Ich werde mit dem Auto fahren müssen. Aber wahrscheinlich nicht weit, die Liste der integrativen Kindergärten in Köln ist lang. Ich rufe die an, die am nächsten sind, und besuche sie mit Lotta. Ich melde uns bei sechs verschiedenen Kindergärten an.

    »Bald bist du ein Kindergartenkind«, sagt Ben zu Lotta. »Du bist auch schon so groß.«
    Er hat recht. Lotta ist groß geworden. Sie schläft durch, bis morgens um neun. Es gibt Tage, an denen sie nicht schreit. Beim Spazierengehen im Wald schaut sie aufmerksam nach den dunklen Blättern vor dem hellen Himmel.
    Wir finden endlich die richtige Augenärztin. In Bonn. Sie nennt Lotta »Spatz’erl«, schnallt verschiedene Linsen in ein Brillengestell und leuchtet mit einer Lampe durch eine Sternschablone. Lotta schaut durch eine Linse und macht sich steif vor Aufregung. »Ha!«, entfährt es ihr.
    »Ja, das siehst du, Spatz’erl, nicht wahr?«
    Lotta lächelt.
    »Ja, da ist der Stern, Spatz’erl.«
    Als die Ärztin den Stern wegnimmt, schreit Lotta empört auf.
    Sie bekommt eine Brille, ein winziges John-Lennon-Modell, Nickel, rund, mit Gläsern dick wie Flaschenböden. Sie soll sie nur zu ihren Förderstunden tragen. Ihre Lesebrille, sagen wir, für ihre schwarz-weißen Bilderbücher. »Unsere Klassenbeste«, sagt Harry. »Sieht sie nicht aus wie ein kleiner Streber?«
    »Wie kann sie blind sein und gleichzeitig weitsichtig?«, fragt mich Nina am Telefon.
    »Alle Kinder sind weitsichtig, ganz am Anfang. Erst mit etwa drei Monaten können sie fokussieren. Dafür müssen sie die Augenmuskulatur kontrollieren. Bei Lotta helfen wir jetzt nach: Wir zeigen ihr, wie ›scharf‹ aussieht, und hoffen, dass sie versucht, diesen Zustand wiederherzustellen, wenn wir ihr die Brille wegnehmen. Dass sie ihre Augenmuskulatur bewegt, um den Stern wieder zu sehen.«
    Den schönsten Satz hat die Augenärztin ganz zum Schluss gesagt. »Ich habe gute Hoffnung, dass Lotta in ein paar Jahren nicht mehr blind ist.«
    »Das geht doch«, ruft Ben, als ich das erzähle. »Das habe ich doch gesagt, Lotta.« Er küsst sie auf die Nickelbrille. »Weil du so toll übst.«
    Vielleicht wird Lotta nie so gut sehen wie wir, aber vielleicht wird sie irgendwann die Grenze vom Blindsein zum Sehen überschreiten.

    Vier Wochen ohne Anfälle. Lotta wirkt wach. Keine Nebenwirkungen. »Vielleicht haben wir es jetzt endlich«, meint Dr. Waltz.
    Bei Clara in der Küche. Aus dem Kinderzimmer dröhnt » Olé, olé, olé! Wir sind die Teufelskicker, jetzt kommen wir! «. In Diskolautstärke. Greta, Fritz und Ben hüpfen durchs Haus, stürmen in die Küche, brüllen »Olé, olé, olé« und rasen lachend weiter. Harry, Clara und ich am Küchentisch, Lotta auf meinem Schoß. »Tee?«, fragt Clara.
    »Höhöhöhö!«
    Wir halten inne. »Hat sie gerade gelacht?« Lotta grinst über beide Backen. »Lotta, hast du gelacht?«
    Es perlt aus ihr heraus. Kicherndes, gluckerndes Kinderlachen. Monatelang ab und zu ein stilles Lächeln und nun das – das erste laute Lachen. Wir alle lachen mit. »Lotta lacht!«, rufe ich. »Ben, komm mal schnell!« Er hört uns nicht. »Lotta, Schatz! Du lachst!« Wir baden in ihrem Glucksen. Wir sonnen uns in ihrer Freude. Harry holt sein Handy raus und filmt. Es werden Filmaufnahmen, so kostbar, dass ich sie in einer Schmuckschatulle aufbewahren möchte, in Seidenpapier eingeschlagen. »Ben, komm doch mal!« Er kommt nicht. Er wird zu Hause das Video sehen. Lotta lacht.
    Es wird das einzige Mal bleiben, dass wir Lotta so lachen hören.

20

»Das kann aufs Hirn schlagen«
Wut, Rache und ein harter Winter
    Oktober 2011. Lotta ist so blass, dass ihre Haut fast grau aussieht. Sie hat Bronchitis, drei Wochen am Stück, vier, fünf. Sie hat Schwierigkeiten abzuhusten, der Schleim sammelt sich. Sie hat kein Fieber, sie ist kalt wie Eis. Verdacht auf Lungenentzündung. Rein, raus aus dem

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