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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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übrig.

    »Haben wir eigentlich schon einen Kindergartenplatz?«, fragt Harry.
    »Ist das ein Witz?«, antworte ich.
    »Nächstes Jahr wird sie drei.«
    »Hoffentlich.«

    Ben hat Besuch. Zwillinge, ein Jahr älter, aus dem Kindergarten. Konstantin und Leopold. Konstantin und Ben vergraben sich in der Lego-Kiste. Leopold mustert Lotta auf meinem Schoß. Ich flöße ihr Wasser mit dem Löffel ein, das meiste läuft vorbei und ihr Kinn hinunter. »War das der liebe Gott?«, fragt Leopold.
    »Was?«
    »War das der liebe Gott?«, fragt er wieder und zeigt auf Lotta.
    »Wieso Gott?«
    »Der bestimmt doch, ob das Baby ein Mädchen oder ein Junge wird. Hat der auch bestimmt, dass Lotta diese Ader kriegt?«
    »Wer sagt denn so was?«
    »Meine Mutter.«
    Wir schweigen.
    Leopold: »War der das mit der Ader?«
    »Frag deine Mutter.«
    »Weißt du das nicht?«
    »Nein. Ich weiß das nicht.«
    Er hebt die Fäuste. »Weil, wenn der das war ...«
    »Was dann?«
    »Dann hau ich den. Der kriegt eins auf die Mütze.«
    »Du willst den lieben Gott hauen?«
    »Der hat angefangen«, sagt Leopold und zeigt auf Lotta.
    »Mmh«, sage ich. »Aber wie willst du den denn kriegen?«
    »Na, wenn ich in den Himmel komme.« Im selben Tonfall, als würde er von der Schule reden.
    »Wie dumm von mir.«
    »Ja«, sagt Leopold. »Dann mach ich so.« Er boxt in die Luft. »Und Ninja. Kennst du Ninja?«
    Ich schüttele den Kopf.
    Er zieht ein Bein an, eine Faust zurück und springt. »Jhiha!«
    »Zeig noch mal«, sage ich. Wer auch immer das war, er hat es verdient. Und mehr.

    An der Straßenbahnhaltestelle starrt ein Mann Lotta an. Ich schaue direkt in seine Augen. Na komm schon! Komm her, trau dich und frag: Was hat sie denn? Komm und hol dir, was hier bei mir auf dich wartet.
    Der Mann sieht weg. Schade. Keiner fragt mehr, keiner spricht uns an. Ich habe die Ausstrahlung einer Atombombe. Keiner traut sich, uns zu nahe zu kommen.
    Ich räche mich. An allen, die starren, die weggucken, die Mitleid haben. An all den Gesunden, den Glücklichen, die nicht schätzen, was sie haben. An allen, die uns Weihnachtskarten schicken mit Fotos ihrer Kinder: »Fröhliche Weihnachten!«
    »Das kann aufs Hirn schlagen«, sage ich einer Mutter mit Herpesbläschen an der Lippe. »Küss bloß dein Baby nicht. Sonst ist das bald in unserer Spielgruppe.«
    »Ist aber mutig, dein Kind so auf den Baum klettern zu lassen. Wenn sich die Kapuze an einem Ast verfängt – na, musst du ja wissen.«
    »Epilepsie wird oft nicht erkannt. Man denkt, die Kinder hören nie zu und träumen vor sich hin – und in Wirklichkeit haben sie die ganze Zeit Anfälle.«
    Shock and awe. Ich marschiere zu den Klängen von »Lasst uns froh und munter sein«.
    »Das war auch schon mal netter, neben dir zu sitzen«, sagt Clara, als wir im Kindergarten mit den anderen Müttern Adventskränze binden.
    »Kannst dich ja wegsetzen.«
    »Ganz ruhig, Cowboy. Ich hab dir nichts getan.«
    Ich ramme die Nadelzweige in den Styroporring, stehe auf und gehe auf die Suche nach der Heißkleberpistole. Um mich herum lachen sie und trinken Glühwein. Ich trage meine Wut vor mir her wie eine Waffe. Panik für alle.
    Im Kindergottesdienst. Heiligabend. Lotta liegt in ihrem Wagen, sediert. Ben sitzt auf Harrys Schoß, glühend. »Wenn jetzt das Christkind kommt und wir sind in der Kirche?« Neben uns versucht Clara ihre Kinder zu überzeugen, sitzen zu bleiben. Hinter uns höre ich: »Hast du von Martina gehört?«
    »Girschke?«
    Leiser, aber laut genug: »Die hat alle Haare verloren. Glatze.«
    »O Gott. Die Arme ...«
    »Und die Perücke, schrecklich. Aber die ist ja so tapfer.« Schweigen. »Ich würde mich nicht mehr vor die Tür trauen.«
    »Haben die denn was ... Oder hat sie noch ...?«
    Ich drehe mich um und starre die beiden Damen in der Reihe hinter uns an. Lippenstift, blond toupiert, Pelzbesatz. Zwischen unseren Gesichtern sind höchstens fünfzig Zentimeter. »Fröhliche Weihnachten!«, versucht eine.
    Ich schaue und schweige. Ich koste es aus. Ich drehe mich zurück und sage leise zu Harry: »Wie die Hyänen.«
    »Mama, was sind Hyänen?«
    »Denen geht’s erst gut, wenn es anderen schlecht geht«, sage ich. Laut genug.

    Wo wird das alles enden? In einem Heim? Mit einem Plastikschlauch in Lottas Bauch? In einer Stammzellklinik in Düsseldorf? Doch in China?
    Der Kinderchor tritt auf, Luca in der ersten Reihe. Melanie hat ihre Spiegelreflex im Anschlag und knipst so wild, als wäre ihr Sohn der

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