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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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hier viel, es werden ihm weit gehende Rechte zugestanden bei allem Sinn für das Ziemliche. Man muß auch sagen, daß die Kritik unsrer Gesellschaft an der derben Lebenslust der Geheimen Rätin mehr ästhetischer als moralischer Natur war. Wer ihr aber gerecht werden wollte, mußte gestehen, daß sie ihrem hohen Gemahl auf ihre Art eine vortreffliche Gattin war, – auf sein leiblich Wohl, das ihm nie gleichgültig war, jederzeit treu bedacht und voller Sinn für die Bedingungen seiner Produktion, von der sie zwar nichts verstand – nicht ein Wort, das Geistige war ihr ein dreimal verschlossener Garten –, von deren Bedeutung für die Welt sie aber durchaus einen ehrfürchtigen Begriff hatte. Er hat sich zwar auch nach seiner Heirat des Junggesellendaseins nie entwöhnt und immer große Teile des Jahres, in Jena, Karlsbad, Teplitz, für sich gelebt. Aber als sie verwichenen Junius an ihren Krämpfen starb – in den Armen fremder Wärterinnen geschah es, denn er selbst war leidend und bettlägrig an dem Tage, wie er schon längst von anfällig schwankender Gesundheit, sie aber ein Bild des Lebens – und zwar bis zum Unaesthetischen und Abstoßenden – gewesen war: als sie tot war, da hat er sich, sagt man, über ihr Bett geworfen und ausgerufen: ›Du kannst, du kannst mich nicht verlassen!‹«
    Charlotte schwieg, weshalb die Besucherin, deren Civilisation kein Stocken des Gespräches duldete, sich beeilte für Weiteres aufzukommen.
    »Jedenfalls«, sagte sie, »war es sehr klug von Mama, daß sie die Frau – allein in der ganzen hiesigen Gesellschaft – bei sich empfing und ihr mit feinem Tackt über alle Verlegenheit hinweghalf. Denn sie fesselte den großen Mann dadurch nur desto fester an ihren aufblühenden Salon, dessen Hauptattraktion er natürlich bildete. Sie hielt mich auch an, die Vulpius ›Tante‹ zu {139} nennen. Zu Goethen aber habe ich niemals ›Onkel‹ gesagt; das fügte sich nicht. Er mochte mich zwar wohl leiden und trieb seinen Spaß mit mir. Ich durfte die Laterne ausblasen, mit der er sich zu uns geleuchtet hatte, und er ließ sich mein Spielzeug zeigen und tanzte mit meiner Lieblingspuppe eine Ecossaise. Aber trotzdem: ihn Onkel zu nennen, dazu war er doch zu sehr Respektsperson, nicht nur für mich, sondern auch für die Erwachsenen, wie ich wohl sah. Denn war er auch oft ein wenig stumm und auf eine Art befangen, wenn er kam, still für sich sitzend und zeichnend an seinem Tisch, so dominierte er doch im Salon, einfach weil alles sich nach ihm richtete, und er tyrannisierte die Gesellschaft, weniger weil er ein Tyrann gewesen wäre, als weil die anderen sich ihm unterwarfen und ihn geradezu nötigten, den Tyrannen zu machen. So machte er ihn denn und regierte sie, klopfte auf seinen Tisch und verfügte dies und das, las schottische Balladen vor und verordnete, daß die Damen den Kehrreim immer im Chore mitsprechen mußten, und wehe, wenn Eine ins Lachen geriet: Dann blitzte er mit den Augen und sagte: ›Ich lese nicht mehr‹, und Mama hatte alle Mühe, die Situation wiederherzustellen, indem sie sich für gute Disziplin in Zukunft verbürgte. Oder aber er machte sich den Spaß, eine furchtsame Dame mit den grausigsten Gespenstergeschichten bis zum Vergehen zu ängstigen. Er liebte es überhaupt, zu necken. So weiß ich noch, wie er eines Abends den alten Onkel Wieland fast aus der Haut fahren ließ, indem er ihm unaufhörlich widersprach – nicht aus Überzeugung, sondern nur aus rabulistischem Schabernack; aber Wieland nahm's ernst und ärgerte sich schwer, worauf denn Goethes Trabanten, Meyer und Riemer, ihn von oben herab trösteten oder belehrten: ›Lieber Wieland, Sie dürfen das nicht so nehmen.‹ Das war nicht passend, wie ich kleines Mädchen deutlich empfand, und andere mochten es auch empfinden, nur Goethe nicht, eigentümlicher Weise.«
    {140} »Ja, das ist eigentümlich.«
    »Ich hatte immer den Eindruck«, fuhr Adele fort, »daß die Sozietät, zum wenigsten unsere deutsche, in ihrem Drang nach Unterwerfung sich ihre Herren und Lieblinge selbst verdirbt und ihnen einen peinlichen Mißbrauch ihrer Überlegenheit aufdrängt, an dem schließlich beide Teile unmöglich noch Freude haben können. Einen ganzen Abend lang plagte Goethe die Gesellschaft einmal bis zur vollkommenen Ermüdung mit dem langgezogenen Scherz, daß er sie zwang, an der Hand einzelner Requisiten den Inhalt der neuen, niemandem bekannten Stücke zu erraten, von denen er eben Probe

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