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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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ansprechen.«
    »Ei, hübsch, mein Kind. Ein artiges Aperçu. Ich sehe, zu Ihren übrigen Talenten kommt eine nicht geringe philosophische Anlage.«
    »Ich bin Weimaranerin«, wiederholte Adele. »Das fliegt einem an. Wenn Einer französisch spricht, nachdem er zehn Jahre in Paris gelebt, so ist das nicht weiter bewundernswert, nichtwahr? Übrigens sind wir vom Musenverein der Philosophie und Kritik so sehr ergeben als der Poesie. Nicht nur unsere Gedichte teilen wir einander dort mit, sondern auch untersuchende und zergliedernde Aufsätze, die wir unserer Lektüre widmen, dem Neuesten im Reiche des Witzes, wie man früher sagte – jetzt sagt man ›Geist‹ und ›Bildung‹. Der alte Gehei {143} merat erfährt übrigens besser nichts von diesen Zusammenkünften.«
    »Nichts? Warum?«
    »Es sprechen mehrere Gründe dagegen. Zum ersten hat er überhaupt eine ironische Aversion gegen schöngeistige Frauenzimmer, und wir müßten befürchten, daß er sich über diese uns so lieben Bestrebungen lustig machte. Sehen Sie, man kann doch gewiß nicht sagen, daß der große Mann unserm Geschlechte abhold wäre, – das schiene wohl eine schwer zu verfechtende Behauptung. Hat er vom Naturell der Frauen doch das Höchste gemeint, was er nach seiner ganzen Gesinnung nur immer davon hätte aussagen können, nämlich, es sei ›so nah mit Kunst verwandt‹. Was wollen wir mehr? Und doch mischt sich in sein Verhältnis zum Weiblichen ein Absprechendes, ich möchte fast sagen: Gröbliches – ein männliches Partisanentum, das uns den Zugang zum Höchsten, zur Poesie und zum Geiste verwehren möchte und unser Zartestes gern in komischem Lichte sieht. Es möge nun hierher gehören oder nicht, aber als er einige Damen einmal auf einer Gartenwiese Blumen pflükken sah, äußerte er, sie kämen ihm vor wie sentimentale Ziegen. Finden Sie das gemütvoll?«
    »Nicht just«, erwiderte Charlotte lachend. »Ich muß lachen«, erläuterte sie, »weil es ja auf boshafte Art etwas Treffendes hat. Aber man sollte natürlich nicht boshaft sein.«
    »Treffend«, sagte Adele, »das ist es eben. So ein Wort hat etwas geradezu Tötliches. Ich kann mich auf einem Spaziergange nicht mehr bücken, um einige Kinder des Frühlings an meinen Busen zu nehmen, ohne mir wie eine sentimentale Ziege vorzukommen, und selbst wenn ich ein Gedicht in mein Album schreibe, sei es ein fremdes oder ein eigenes, komme ich mir so vor.«
    »Sie sollten es sich so sehr nicht zu Herzen nehmen. Warum aber sonst noch soll denn der Goethe nichts wissen von Ihren und Ihrer Freundinnen aesthetischen Bestrebungen?«
    {144} »Teuerste Hofrätin – von wegen des ersten Gebotes.«
    »Wie meinen Sie?«
    »Das da lautet«, sagte Adele, »›Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.‹ Wir sind hier, Verehrteste, wieder beim Kapitel der Tyrannei, – einer denn doch wohl nicht aufgedrängten und von der Gesellschaft verschuldeten, sondern natürlichen und von einer gewissen überherrschenden Größe wohl unabtrennbaren Tyrannei, die zu scheuen und zu schonen man gut tut, ohne sich ihr eben zu unterwerfen. Er ist groß und alt und wenig geneigt, gelten zu lassen, was nach ihm kommt. Aber das Leben geht weiter, es bleibt auch beim Größten nicht stehen, und wir sind Kinder des neuen Lebens, wir Muselinen und Julemusen, ein neues Geschlecht, und sind gar keine sentimentalen Ziegen, sondern selbständige, fortgeschrittene Köpfe mit dem Mute zu ihrer Zeit und ihrem Geschmack und kennen schon neue Götter. Wir kennen und lieben Maler, wie die frommen Cornelius und Overbeck, nach deren Bildern er, wie ich ihn selbst habe sagen hören, am liebsten mit der Pistole schösse, und den himmlischen David Caspar Friedrich, von dem er erklärt, man könne seine Bilder ebenso gut verkehrt herum ansehen. ›Das soll nicht aufkommen!‹ donnert er, – ein rechter Tyrannendonner, wie nicht zu leugnen, den aber wir im Musenverein in aller Ehrfurcht dahinrollen lassen, indeß wir in unsere Poesiebücher Verse von Uhland schreiben und entzückt mit einander die herrlich skurrilen Geschichten von Hoffmann lesen.«
    »Ich kenne diese Autoren nicht«, sagte Charlotte gemessen. »Sie werden nicht sagen wollen, daß sie bei aller Skurrilität den Dichter des ›Werther‹ erreichen.«
    »Sie erreichen ihn nicht«, versetzte Adele, »und dennoch – verzeihen Sie das Paradoxon! – übertreffen sie ihn, – nämlich einfach, weil sie weiter sind in der Zeit, weil sie eine neue Stufe

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