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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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gehalten. Es war ganz unmöglich, eine Aufgabe mit zu vielen Unbekannten, niemand brachte einen Zusammenhang zustande, und die Gesichter wurden immer länger, das Gähnen immer häufiger. Er aber ließ nicht ab zu insistieren und hielt den ganzen Kreis immerfort auf der Folter der Langenweile, sodaß man sich fragte: Fühlt er denn nicht, welchen Zwang er den Leuten auferlegt? Nein, er fühlte es nicht, die Gesellschaft hatte es ihm abgewöhnt, es zu fühlen, aber es ist kaum glaubhaft, daß er selbst sich nicht sollte sterblich gelangweilt haben bei dem grausamen Spiel. Die Tyrannei ist gewiß ein langweiliges Geschäft.«
    »Da mögen Sie recht haben, mein Kind.«
    »Er ist denn auch«, setzte Adele hinzu, »meiner Meinung nach garnicht zum Tyrannen geboren, sondern viel eher zum Menschenfreund. Ich habe das immer daraus abgenommen, daß er es so besonders liebte – und es so excellent verstand, die Menschen lachen zu machen. Mit dieser Eigenschaft ist man gewiß kein Tyrann. Als Vorleser sowohl bewährte er sie, als auch wenn er freihin Geschichten erzählte und komische Dinge und Leute beschrieb. Sein Vorlesen ist nicht durchweg glücklich, das finden alle. Zwar lauscht man immer gern seiner Stimme, die eine schöne Tiefe hat, und blickt mit Freuden in {141} sein ergriffenes Gesicht. Aber bei ernsten Szenen fällt er leicht zu sehr ins Pathetische, Deklamatorische, auch allzu Donnernde, es ist nicht immer erfreulich. Dagegen das Komische bringt er regelmäßig mit solcher Drastik und Natur, so köstlicher Beobachtung und unfehlbarer Wiedergabe, daß alle Welt hingerissen ist. Und nun gar, wenn er lustige Anekdoten zum Besten gab oder sich einfach in die Ausmalung phantastischen Unsinns verlor. Dann schwamm bei uns buchstäblich alles in Lachthränen. Es ist bemerkenswert: In seinen Werken ist doch allgemein eine große Gesetztheit und Feinheit der Charakteristik herrschend, die allenfalls einmal zum Lächeln Anlaß gibt, aber zum Lachen – nicht daß ich wüßte. Persönlich aber hat er nichts lieber, als wenn die Leute sich wälzen vor Lachen ob seinen Hervorbringungen, und ich hab' es erlebt, daß Onkel Wieland sich den Kopf mit der Serviette verhüllte und ihn um Quartier bat, denn er konnte nicht mehr, und sonst war auch alles ohne Atem am Tische. Er selbst pflegte ziemlichen Ernst zu bewahren in solchen Situationen; aber er hatte eine eigentümliche Art, mit blitzenden Augen und einer gewissen freudigen Neugier in das Gelächter und in die allgemeine Gelöstheit hineinzublicken. Ich habe oft darüber nachgedacht, was es bedeutet, wenn ein so ungeheuerer Mann, der soviel durchlebt und getragen und ausgeführt, die Menschen so gerne zu schallendem Gelächter bringt.«
    »Die Sache wird die sein«, sagte Charlotte, »daß er jung geblieben ist in der Größe und in dem schweren Ernst seines Lebens dem Lachen die Treue bewahrt hat – es würd' mich nicht wundern, und ich würd' es schätzen. In unserer Jugend haben wir viel und ausbündig zusammen gelacht, zu zweit und zu dritt, und gerade in Augenblicken, wenn er mir hatte wollen ins Schmerzliche ausarten und sich verlieren ins Melancholische, so faßt' er sich wohl ein Herz, schlug um und bracht' uns genau so zum Lachen mit seinen Possen wie Ihrer Frau Mutter Theegesellschaft.«
    {142} »O, sprechen Sie weiter, Frau Hofrätin!« bat das junge Mädchen. »Erzählen Sie weiter von diesen unsterblichen Jugendtagen zu zweit und zu dritt! Wie ist mir denn, mir närrischem Ding? Ich wußte, zu wem ich ging, zu wem es mich unwiderstehlich antrieb mich aufzumachen. Nun aber will es mir fast aus dem Sinn kommen, wer es ist, neben der ich auf dieser Causeuse sitze, und erst Ihre Worte jagen mir's wieder ein, beinahe zu meinem Schrecken. O, sprechen Sie weiter von damals, ich flehe Sie an!«
    »Viel lieber«, sagte Charlotte, »viel lieber höre ich Ihnen zu, meine Gute. Sie unterhalten mich so allerliebst, daß ich mir immer aufs neue Vorwürfe machen muß, Sie so lange haben warten zu lassen und Ihnen noch einmal danken muß für Ihre Geduld.«
    »O, was meine Geduld betrifft … Ich brannte so sehr von Ungeduld, Sie, hohe Frau, zu sehen und Ihnen vielleicht in mancher Beziehung mein Herz ausschütten zu dürfen, daß ich kaum zu loben bin, weil ich Geduld übte um dieser Ungeduld willen. Oft ist das Moralische nur das Produkt und Mittel der Leidenschaft, und die Kunst, zum Exempel, kann man wohl als die hohe Schule der Geduld in der Ungeduld

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