Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
repräsentieren, uns näher sind, trauter, verwandter, uns Neu {145} eres, Eigeneres zu sagen haben, als eine felsstarre Größe, die gebietend und auch wohl verbietend hineinragt in die frische Zeit. Ich bitte Sie, halten Sie uns nicht für pietätlos! Pietätlos ist nur eben die Zeit, die das Alte verläßt und das Neue heranbringt. Gewiß, sie bringt das Kleinere nach dem Großen. Aber es ist das ihr und ihren Kindern Gemäße, das Lebendige und Gegenwärtige, das uns angeht und mit einer Unmittelbarkeit, deren die Pietät denn doch ermangelt, zu den Herzen, den Nerven derer spricht, denen es zugehört und die dazu gehören, die es gleichsam mit hervorgebracht haben.«
Charlotte schwieg zurückhaltend.
»Ihre Familie, mein Fräulein«, sagte sie abbrechend und mit etwas künstlicher Freundlichkeit, »stammt, wie ich hörte, aus Danzig?«
»Ganz recht, Frau Hofrätin. Die mütterliche durchaus, die väterliche bedingt. Meines seligen Vaters Großvater ließ sich als Großkaufmann in der Republik Danzig nieder, aber die Schopenhauers sind holländischer Herkunft, und wenn es nach Papas Neigungen gegangen wäre, so wären sie noch lieber von englischer gewesen, denn er war ein großer Freund und Bewunderer alles Englischen, ein vollendeter Gentleman selbst, und sein Landhaus in Oliva war völlig im englischen Geschmack gebaut und eingerichtet.«
»Unserem Hause, den Buffs nämlich«, bemerkte Charlotte, »schreibt man englischen Ursprung zu. Belege dafür habe ich nicht auffinden können, obgleich ich aus nahe liegenden Gründen mich viel mit der Geschichte unsrer Familie beschäftigt, recht emsig genealogische Studien betrieben und manche einschlägigen Urkunden gesammelt habe – zumal seit dem Tode meines teuren Hans Christian, wo ich denn zu solchen Nachforschungen mehr Zeit hatte.«
Adeles Gesicht blieb einen Augenblick leer, weil sie sich auf die »nahe liegenden Gründe« für dieses Studium nicht gleich verstand. Dann begriff sie eifrig und rief aus:
{146} »O wie verdienstvoll, wie dankenswert sind diese Ihre Bemühungen! Wie glücklich arbeiten Sie damit einer Nachwelt vor, die ganz genau über Ursprung und Geburtsgrund, über die familiäre Vorgeschichte einer Frau von Ihrer Erwählung, Ihrer Bedeutung für die Geschichte des menschlichen Herzens wird unterrichtet sein wollen!«
»Eben das«, sagte Charlotte mit Würde, »ist auch meine Annahme, vielmehr, es ist meine Erfahrung, denn ich sehe, daß die Wissenschaft sich schon heute zur Erforschung meiner Herkunft gedrängt fühlt, und ich halte es für meine Pflicht, ihr dabei nach Kräften zur Hand zu gehen. Tatsächlich ist es mir gelungen, unsere Familie in ihren Verzweigungen noch über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurückzuverfolgen. So lebte ein Posthalter Simon Heinrich Buff von 1580 bis 1650 zu Butzbach in der Wetterau. Sein Sohn war ein Bäcker. Aber schon von dessen Söhnen Einer, Heinrich, wurde Kaplan und im Laufe der Zeit pastor primarius zu Münzenberg, und seitdem haben die Buffs ganz vorwiegend als geistliche Herren und consistoriales in ländlichen Pfarrhäusern gesessen, zu Crainfeld, Steinbach, Windhausen, Reichelsheim, Gladenbach und Niederwöllstadt.«
»Das ist wichtig, das ist kostbar, das ist hoch interessant«, sagte Adele in einem Zuge.
»Ich vermutete«, erwiderte Charlotte, »daß es Sie interessieren werde, trotz Ihrer Schwäche für kleinere nouveautés des literarischen Lebens. Nebenbei übrigens ist es mir gelungen, einen mich selbst betreffenden Irrtum richtig zu stellen, der sich unverbessert fortzuerben drohte: Als mein Geburtstag wurde immer der eilfte Januar begangen, auch Goethe hielt daran fest und tut es wahrscheinlich noch. In Wirklichkeit aber bin ich am 13. geboren und am nächstfolgenden Tage getauft, – die Zuverlässigkeit des Wetzlarer Kirchenbuches leidet keinen Zweifel.«
{147} »Man muß alles tun«, sagte Adele, »– und ich für mein Teil bin entschlossen, mein Bestes daran zu setzen –, um die Wahrheit über diesen Punkt zu verbreiten. Vor allem wäre der Geheimerat selbst aufzuklären, wozu ja Ihr Besuch bei uns, teuerste Hofrätin, die trefflichste Gelegenheit bieten wird. Aber jene lieben Werke Ihrer Mädchenhand, die Stickereien, die Sie in unsterblichen Tagen unter seinen Augen anfertigten, der unfertige Liebestempel und das andere – was ist, ums Himmels willen, aus diesen Reliquien geworden? Wir sind zu meinem Leidwesen davon abgekommen …«
»Sie sind vorhanden«,
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