Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
des Mannes für das eigene Geschlecht, wie er uns schon aus den Sitten der Spartaner herb-befremdlich entgegentritt.
{184} Ferdinand seinerseits bewahrte gegen jedermann jenes schon gekennzeichnete gleichmäßig-sonnige Verhalten, und auch sein Betragen gegen uns, das heißt: gegen Ottilie hätte Herrn von Goethe keinerlei Anlaß zur Eifersucht gegeben, wenn die beiden wie Nacht und Tag verschiedenen jungen Leute jemals zusammengetroffen wären, was Ottilie jedoch zu verhindern wußte. Es war klar, daß sie sich durch die Empfindungen, die sie dem Helden entgegenbrachte, schuldig zu machen glaubte vor dem düsteren Liebhaber; daß sie sie als einen Raub an den Freundschaftspflichten gegen diesen betrachtete, sodaß bei dem Zusammensein mit ihnen beiden ihr Gewissen gelitten hätte; und so sehr ich die moralische Kultur bewunderte, die sie zu dieser Auffassung bewog, mußte ich doch mit Unruhe daraus abnehmen, daß meine Hoffnung, das Erlebnis mit Heinke möchte die mir ängstlichen Bande lösen, die sie an den Sohn des Großen knüpften, sich nicht bewahrheiten wollte. ›Ja, Adele‹, sagte sie eines Tages zu mir, indeß ihre blauen Augen sich schattig verdunkelten, ›ich habe das Glück erkannt, das Licht und die Harmonie, in der Gestalt unseres Ferdinands sind sie mir aufgegangen. Aber so edel der Zug sein mag, den sie ausüben, – tiefer sind die Ansprüche, die Dunkel und Leiden an unseren Edelmut stellen, und im Grunde meiner Seele kenne ich mein Schicksal.‹ – ›Möge der Himmel dich behüten, Geliebte!‹ war alles, was ich erwidern konnte, eine Kälte im Herzen, wie sie uns ankommt, wenn wir dem unbeweglichen Auge des Verhängnisses begegnen.
Heinke entschwand. Wir sollten ihn wiedersehen; für diesmal aber, nach einem Aufenthalt von sieben Wochen in unserer Mitte, reiste er ab: in seine schlesische Heimat zunächst, zum Besuch seiner Lieben, der Pelzhändlersleute, um bei ihnen die vollständige Wiederherstellung seines Beines abzuwarten, dann aber sogleich wieder zur Armee zu stoßen; und meine Ottilie und ich weinten innig zusammen über den Verlust {185} seiner Gegenwart, richteten uns aber auf in dem getauschten Schwur, daß unsere Freundschaft fortan ein einziger Kult seines Heldenandenkens sein solle. Er hatte uns das Idealbild des vaterländisch entflammten deutschen Jünglings, wie der Sänger von ›Leyer und Schwert‹ es verkündete, in Fleisch und Blut erschauen lassen, und da Fleisch und Blut denn doch immer dem Ideale etwas entgegen sind und eine gewisse Ernüchterung unvermeidlich mit sich bringen, so hat es, wenn ich ganz offen sein soll, auch sein Gutes und Vorteilhaftes, wenn sie sich durch Abwesenheit wieder zum reinen Ideale verklären. Namentlich hatte sich uns Ferdinand in letzter Zeit immer in schlichter Bürgertracht dargestellt, da er unserem inneren Auge nun wieder in dem Ehrenkleid vorschweben mochte, worin er uns anfangs erschienen, – ein großer Vorteil, wenn man bedenkt, wie sehr die Uniform die männlichen Eigenschaften erhöht. Kurzum, sein Bild wurde nach seinem Abgange in unserer Vorstellung täglich lichter, – während zugleich, wie Sie sehen werden, die Gestalt des Anderen, Augustens Gestalt, sich mit immer trüberen Wolken umhüllte.
Am zehnten August lief der Waffenstillstand ab, während dessen Preußen, Rußland, Oesterreich und auch England sich gegen den Kaiser der Franzosen vereinigt hatten. Zu uns nach Weimar drang nur geringe und undeutliche Kunde von den Siegen der preußischen Heerführer, der Blücher und Bülow, der Kleist, Yorck, Marwitz und Tauentzien. Daß irgendwo gewiß unser Ferdinand an diesen Siegen teil hatte, erfüllte uns Mädchen mit hochatmendem Stolz; der Gedanke, sein junges Blut, dem Vaterlande dargebracht, möchte vielleicht schon den grünen Plan färben, ließ uns erbeben. Wir wußten fast nichts. Die nördlichen und östlichen Barbaren rückten näher – das war unsere ganze Nachricht; aber je näher sie rückten, desto seltener wurde ihnen bei uns dieser Name ›Barbaren‹ zuteil, desto mehr wendeten sich die Sympathien und Hoffnungen unserer {186} Bevölkerung und Gesellschaft von den Franzosen weg ihnen zu: zum Teil wohl einfach, weil man die Sieger in ihnen zu sehen begann, die man schon von Weitem durch seine Ergebenheit milde zu stimmen hoffte, namentlich aber weil die Menschen unterwürfige Wesen sind, von dem Bedürfnis geleitet, mit den Verhältnissen und Ereignissen, mit der Macht in innerer Übereinstimmung
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