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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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zu leben, und weil ihnen jetzt das Schicksal selbst den Wink und Befehl zur Sinnesänderung zu erteilen schien. So wurden aus den gegen die Gesittung rebellierenden Barbaren binnen wenigen Tagen Befreier, deren Erfolg und Vormarsch der allgemeinen Begeisterung für Volk und Vaterland, dem Haß auf den welschen Unterdrücker zu einem stürmischen Durchbruch verhalf.
    Kurz nach Mitte Oktober sahen wir, mit entsetzter Bewunderung, zum ersten Male Kosaken in Weimar. Der französische Gesandte entfloh, und wenn man ihn bei seiner Abreise nicht insultierte, so nur darum nicht, weil noch nicht absolut deutlich war, wie das Schicksal es meinte, und wie man sich zu verhalten hatte, um auch gewiß mit Macht und Erfolg in Harmonie zu sein. Aber in der Nacht vom zwanzigsten auf den einundzwanzigsten rückten ganze fünfhundert dieser hunnischen Reiter bei uns ein, und ihr Oberst, v. Geismar war sein Name, stand in dieser Nacht mit schief übers Ohr gezogener Mütze im Schloß vorm Bette des Herzogs und berichtete ihm von dem großen Siege der Verbündeten bei Leipzig. Zum Schutz der Herzoglichen Familie, meldete er, sei er vom Zaren Alexander entsandt. Da wußte auch Serenissimus, was die Glokke geschlagen, und wie ein kluger Fürst sich zu stellen hatte, um den Anschluß ans Schicksal und an die Macht der Ereignisse nicht zu versäumen.
    Liebste, was waren das doch für Tage! – erfüllt vom Lärm der Kämpfe, die rings um die Stadt herum und bis in unsere Straßen hinein sich schreckhaft abspielten. Franzosen, Rheinlän {187} der, Kosaken, Preußen, Magyaren, Kroaten, Slavonen, der Wechsel wilder Gesichte wollte nicht enden, und da der französische Rückzug auf Erfurt die Residenz den Verbündeten freigab, die sich sogleich darein ergossen, so brach eine Flut von Einquartierung über uns herein, welche jeden Haushalt, groß und klein, mit den äußersten Ansprüchen, oft kaum erfüllbar, belastete. Die Stadt, vollgepfropft von Menschen, sah viel Glanz und Größe, denn zwei Kaiser, der russische und der oesterreichische, dazu der preußische Kronprinz hielten zeitweise hier Hof, der Kanzler Metternich traf ein, es wimmelte von Würdenträgern und Generalität, allein nur die Aermsten, denen nichts abverlangt werden konnte, mochten sich der Schaulust überlassen, – wir anderen, auf engsten Raum eingeschränkt, durften nur leisten und leisten, und da alle Hände zu tun hatten und jedermann von der Sorge, wie er den Anforderungen gerecht werden möchte, aufs Letzte in Atem gehalten war, so gebrach es an überschüssiger Seelenkraft, sich um den Nachbarn zu kümmern, und meist erfuhr man erst nachträglich, wie es jenem in alldem ergangen war.
    Einen Unterschied jedenfalls, einen inneren, gab es bei aller äußeren Gleichheit der Bedrängnis, in dieser Not und Beanspruchung: Diejenigen trugen sie leichter und fröhlicher, denen ihre Gesinnung, ihr Herzensglück über den Sieg der vaterländischen Sache – und mochte er auch mit Hilfe zuweilen etwas rauh und übermütig sich gebärdender Freunde, Kosaken, Baschkiren und Husaren des Ostens, erfochten sein – Entgelt und Über-Entgelt bot für alle Plage und ihnen wohltätig darüber hinweghalf. Auch unsere Mütter, Ottiliens und meine, hatten hohe Commandeurs mit ihren Adjutanten und Burschen zu behausen und zu verpflegen, und wir Töchter sahen uns buchstäblich zu Mägden dieser herrischen Gäste herabgesetzt. Aber mein Liebling, befreit wahrhaftig, nämlich von dem Zwang, ihr preußisch Herz zu verbergen, strahlte bei all {188} dem vor Freude und teilte auch mir, der zum Verzagen Geneigteren, immer wieder von ihrer Begeisterung mit über die große, die herrliche Zeit, die für uns beide geliebte und still verherrlichte Züge trug: die Züge des Heldenjünglings, den wir errettet, und der jetzt an seinem Orte, wir wußten nicht, wo, das blutige Werk der Freiheit vollenden half.
    Soviel nur von unsren Empfindungen, unserem Zustand, welcher bei einiger persönlich-besonderer Färbung sich nachgerade kaum noch von dem allgemein-öffentlichen, der Volksstimmung, unterschied. Wie anders aber sah es aus in dem berühmten Hause, mit dem meine Ottilie so seltsame, mir immer so ängstliche Beziehungen verbanden! Deutschlands großer Dichter war zu jener Zeit der unglücklichste Mann in der Stadt, im Herzogtum, wahrscheinlich im ganzen, zu hohen Gefühlen hingerissenen Vaterland. Im Jahre 6 war er nicht halb so unglücklich gewesen. Unsere liebe von Stein erachtete ihn für

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