Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
tiefsinnig geworden. Sie warnte jeden, von politischen Sachen mit ihm zu reden, denn, milde gesagt, scheine er gar an unserm jetzigen Enthusiasmus nicht teilzunehmen. Er nannte dies Jahr unserer Erhebung, das doch rot ausgemerkt und herrlich in unserer Geschichte hervortritt, nicht anders als das ›traurige‹, das ›schreckensvolle‹ Jahr. Dabei war ihm von seinen unleugbaren Schrecken mehr als uns allen erspart geblieben. Im April, als das Kriegstheater sich herzuziehen drohte, Preußen und Russen die umliegenden Höhen besetzten und eine Schlacht bei Weimar nebst Plünderung und Brand in Aussicht stand, hatten die Seinen, August und die Geheimerätin, nicht dulden wollen, daß der Dreiundsechzigjährige, dieser zwar dauerhafte, aber stets kränkliche und längst an unverbrüchlich-unentbehrliche Gewohnheiten gebundene Mann, sich Unbilden aussetze, die schlimmer sich anlassen wollten als die vom Jahre sechs. Die Beiden bestimmten ihn zu schleuniger Abreise – in sein geliebtes Böhmen, nach Teplitz, wo er in {189} Sicherheit seiner Arbeit leben, den dritten Band seiner Erinnerungen beenden mochte, indeß Mutter und Sohn zu Hause den Schrecken der Stunde die Stirn boten. Das war in der Ordnung, ich sage nichts dagegen, – ich nicht. Es gab andere, das will ich nicht verschweigen, die seine Abreise tadelten und nur die egoistische Selbstschonung eines großen Herrn darin sahen; aber die anrückenden Blücherschen, denen sein Wagen gleich hinter Weimar begegnete und die den Dichter des ›Faust‹ erkannten, dachten ersichtlich anders darüber, wenn sie nicht annahmen, er führe nur spazieren. Denn sie umringten ihn und baten ihn treuherzig-keck, in ihrer Ahnungslosigkeit, er möge ihre Waffen segnen, wozu er sich nach einigem Sträuben denn auch mit freundlichen Worten verstand, – eine schöne Szene, nichtwahr? nur etwas prekär, beklemmend ein wenig durch das naive Mißverständnis, das ihr zum Grunde lag.
Bis in den Hochsommer blieb unser Meister in Böhmen. Dann, da es auch dort nicht mehr geheuer war, kehrte er zurück, doch nur für wenige Tage; denn da es eben damals schien, daß die Oesterreicher von Südosten her auf Weimar marschierten, so bewog August ihn gleich wieder zur Abreise: Er ging nach Ilmenau und blieb dort bis in die ersten Septembertage. Von da an freilich hatten wir ihn wieder in unserer Mitte, und wenn man ihn liebt, so muß man sagen, daß er von dem, was über uns kam, immer noch genug, zuviel immer noch mitgetragen hat. Es war ja die Zeit der schlimmsten Einquartierungslast, und auch sein schönes Haus, dem man Frieden und Schonung gewünscht hätte, wurde zur Zwangsherberge: wohl eine Woche lang hatte er täglich vierundzwanzig Personen zu Tisch. Der oesterreichische Feldzeugmeister Graf Colloredo lag bei ihm ein, – Sie haben gewiß gehört, denn viel war damals davon die Rede: In sonderbarer Unbewußtheit – oder war es Trotz? war es das Vertrauen, daß große Herren wie der Graf und er in ihrer eigenen, den Leidenschaften der Menge entrückten {190} Sphäre lebten? – trat ihm der Meister zur Begrüßung entgegen, das Kreuz der Ehrenlegion auf dem Staatskleide. ›Pfui Teufel!‹ rief Colloredo, grob genug. ›Wie kann man so etwas tragen?!‹ Dies ihm! Er verstand es nicht. Dem Feldzeugmeister verstummte er. Zu anderen aber hernach hat man ihn sagen hören: ›Wie? Weil der Kaiser eine Schlacht verloren hat, soll ich sein Kreuz nicht mehr tragen?‹ – Die ältesten Freunde wurden ihm unbegreiflich wie er auch ihnen. Dem Oesterreicher folgte Minister von Humboldt, ihm geistig verbunden seit zwanzig Jahren, ein ausgepichter Weltbürger von je, wohl mehr als der Dichter, – stets hatte er das Leben im Auslande dem in der Heimat vorgezogen. Seit anno 6 aber war er Preuße, ein guter, wie man wohl sagt, das heißt überhaupt nichts anderes mehr. Napoléon hatte das fertig gebracht, – man muß es ihm lassen, er hat die Deutschen sehr verändert. Die Milch weltfrommer Sinnesart des Nehmens und Spendens hat er in gährend Drachenblut verwandelt und auch aus dem versatilen Humanisten von Humboldt einen grimmigen Patrioten und Treiber zum Freiheitskriege gemacht. Soll man's dem Caesar als Schuld anrechnen oder Verdienst, wie er uns den Sinn gewendet und uns zu uns selbst geführt? Ich will nicht urteilen.
Von dem, was damals zwischen dem preußischen Minister und unserm Meister erörtert wurde, sickerte vieles durch, so manches davon ging in der Gesellschaft von Mund zu
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