Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
Adern an ihren Händen traten hervor. »Hallo, was wollt ihr?« sagte sie.
Philip erzählte ihr, daß Gideon vom Wagen gefallen wäre und sie ihn nach Hause gebracht hätten. Während er mit ihr sprach, wanderten seine Blicke von Dolores zu Judith. Am Morgen bei der Feier war er stolz auf Judiths schöne Erscheinung gewesen, aber in dieser furchtbaren Umgebung sah sie unwirklich aus und glich fast einer Vision. Ihr Mieder aus Blumenstoff schmiegte sich eng um ihre schlanke Gestalt. Sie trug einen weißen Hut mit vier roten Federn, der mit weißen Seidenbändern unter ihrem Kinn befestigt war, und schwarze, durchbrochene Seidenhandschuhe. Ihr Rock war so kurz, daß man die silbernen Schnallen an ihren Schuhen sehen konnte.
»Ich danke euch, daß ihr ihn nach Haus gebracht habt«, sagte Dolores. »Ich habe ihm ein für allemal gesagt, daß er nicht auf fahrende Wagen springen soll, aber es ist sehr schwer, die Früchte zu verkaufen, und außerdem« – sie zuckte die Schultern, als ob sie um Verzeihung bitten wollte – »möchte er immer gern Leute von Ardeith und Silberwald sehen.«
Judith trat zu ihr. »Kann ich dich eine Minute lang allein sprechen, Dolores?«
Dolores zögerte, dann ging sie mit Judith zu einem Fenster. Gideon blieb auf der Kiste sitzen und fuhr mit der Hand über die verletzte Stelle am Knie. Das kleine Mädchen mit der Puppe starrte die Fremden mit großen Augen an.
Judith sprach indessen leise zu Dolores. Philip konnte nicht hören, was sie sagte, aber schließlich rief Dolores: »Nein, Judith, nein!« Sie trat einen Schritt zurück und kreuzte die Hände auf der Brust. »Ich möchte nichts haben. Thad verdient unseren Lebensunterhalt. Er arbeitet auf der Werft. Und du«, wandte sie sich scharf an Gideon, »wenn du noch einmal diese Leute belästigst, mußt du auch auf der Werft arbeiten und schwere Lasten tragen wie dein Vater.«
»Ja«, erwiderte Gideon, aber dann platzte er heraus. »Ich wollte nur einmal die Dame ansehen.«
Philip sagte, er wollte für den Korb Früchte zahlen, die Gideon verloren hatte. Das Geld nahm sie schließlich, als Philip ihr versicherte, daß Gideon nur durch die Schuld des Kutschers heruntergestürzt wäre. Er sagte es in allem Ernst, obwohl er davon überzeugt war, daß der Junge sich absichtlich hatte fallen lassen. Diese kleinen Schlingel, die sich auf den Docks herumtrieben, waren viel zu geschickt, um von einem Wagen zu fallen.
Das Mädchen auf der Matratze stöhnte.
»Das arme Kind«, sagte Judith leise, kniete neben der Matratze nieder und hob das Moskitonetz auf. Sie hörte ein Röcheln und Würgen, als ob das kranke Kind sich übergeben müßte.
Blitzschnell sprang Philip vor und warf einen Blick auf das Mädchen. Er schlug Judith das Kissen aus den Händen und hob sie schnell auf, so daß sie wieder auf den Füßen stand.
»Geh hinaus, Judith!« rief er.
»Was ist es denn?« fragte sie furchtsam, während sie über die Schulter auf das stöhnende Kind zurückschaute. »Ach, mein Gott – das kann doch nicht –«
»Ja, das ist es. Das gelbe Fieber.« Er zog sie zur Tür. Aber sie machte sich von ihm frei und eilte voraus.
Philip faßte Dolores am Arm. »Wie lange ist das Kind schon krank?«
»Zwei oder drei Tage. Es ist wohl besser, wenn ihr geht.«
»Habt ihr viel gelbes Fieber in diesem Teil der Stadt?«
»O ja. Viele Leute sind ganz plötzlich krank geworden.« Judith rief über die Schulter zurück, daß sie alles Nötige schicken wollte. Dolores müßte es diesmal um ihrer kranken Tochter willen annehmen. Sie eilten hinaus und stiegen in den Wagen. Judith befahl dem kleinen Philip, sie nicht anzurühren.
Als der Wagen vor der Veranda von Ardeith hielt, gab sie ihm ernste Anweisungen.
»Zieh alle Kleider aus, die du anhast, und gib sie der Mammy. Die soll sie in der Küche verbrennen. Dann nimmst du sofort ein Bad.«
»Aber doch nicht meinen neuen blauen Anzug!« protestierte der kleine Philip. »Vater, muß ich meinen schönen Anzug wirklich verbrennen lassen?«
»Ja, mein Junge, und deine Schuhe auch. Mach schnell und laß niemand an dich herankommen, bis du reine Wäsche und Kleider angezogen hast.«
Sie eilten ins Haus.
Aber nachdem sie sich gewaschen und abgeseift hatten, und nachdem die Kleider verbrannt waren, schämten Judith und Philip sich eigentlich, weil sie so furchtsam gewesen waren.
»Wir haben uns doch nur ein paar Minuten in dem Haus aufgehalten«, meinte Philip, »und im Sommer herrscht das gelbe Fieber
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