Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
immer in der Hafengegend.«
Judith hatte früher noch nie einen Fall von gelbem Fieber aus der Nähe gesehen. Sie fragte Philip, woran man es erkennen könnte.
»Das weißt du sofort, wenn du erst einmal einen Kranken siehst, der daran leidet«, erwiderte Philip und schauderte zusammen. »Blutunterlaufene Augen, entzündete rote Lippen und Nasenöffnungen, und dieses so entsetzliche schwarze Erbrechen. Aber man steckt sich nicht gerade an, nur weil man in demselben Hause war.«
Judith fühlte sich wieder sicherer. Sie packte Wäsche und Nahrungsmittel zusammen und schickte das große Paket durch einen der Feldneger nach dem Rattletrap Square.
Das Haus war voll von Gästen. Sie waren alle ins Innere gegangen, weil sie auf der Veranda zu sehr von den Moskitos belästigt wurden. Aber Judith zögerte noch in ihrem Zimmer. Sie hatte den Kamm in der Hand und drückte die Ecke in das weiche Wachs der Kerze. Philip trat herein und fragte, warum sie nicht zu den anderen ins Wohnzimmer ginge.
»Ich komme gleich«, erwiderte sie langsam. »Ich habe nur nachgedacht.«
Er bat sie, sich wegen Dolores keine Sorgen mehr zu machen. »Du hast alles getan, was du tun konntest. Es ist nicht deine Schuld, daß sie es nicht mehr annehmen wollte.«
»Ich habe mir keine Gedanken über sie gemacht. Ich wunderte mich nur –« Sie zögerte.
»Worüber denn?«
»Philip, ist es dir nicht aufgefallen, daß alle Leute, die wir in dem schrecklichen Viertel sahen, Weiße waren?«
Er stützte den Ellbogen auf die Kommode und sah aus dem Fenster. »Es ist eine Schande, daß man es zugeben muß, aber schwarze Sklaven sind viel zu wertvoll, als daß man sie so leben ließe.«
»Ich wußte nicht, daß es so etwas Grauenhaftes auf der Welt gibt. Ich denke nicht nur an Dolores – ich denke an all die vielen Menschen, die in solchem Elend hausen müssen. Was haben sie getan, um ein solches Schicksal zu verdienen?«
»Was hat überhaupt irgend jemand getan, um sein Schicksal zu verdienen?« erwiderte Philip nüchtern.
14
A ber ihr eigenes Leben war so erfüllt und so reich, sagte Judith sich stolz, als sie über den festlich gedeckten Tisch hinsah. Trotz der Stürme, die außerhalb und in ihr selbst getobt hatten, herrschte heitere Ruhe in Ardeith, und sie selbst hatte all dieses Glück aufgebaut.
Die langen Fenster, die bis auf den Boden gingen, waren geöffnet, so daß die Luft das Zimmer durchziehen konnte. An einer Seite des Tisches zog ein kleiner Negerjunge den großen Fächer von Putenfedern. In langsamem Rhythmus schwang er hin und her, während die schwarzen Diener den Gästen lautlos Reis, gebratenes Geflügel und andere Delikatessen servierten. Der Puterbraten war gefüllt mit jungen Maiskörnern und Walnüssen. Es gab frischgebackene Brötchen und scharfgewürzte Gemüse, Feigen, Pfirsiche, in Sirup eingemachte Apfelsinen, frischen Salat in Olivenöl und französischen Wein.
Die Gäste unterhielten sich lebhaft, denn sie waren alle gut miteinander bekannt. Die Purcells waren mit vier von ihren fünf Kindern gekommen. Ihre älteste Tochter hatte bereits geheiratet, und Gervaise, die jetzt sechsunddreißig Jahre zählte, war schon vor vier Jahren Großmutter geworden. Neben ihnen saßen die St. Clairs mit zwei hübschen Töchtern, dann folgten Alan und Sylvie Durham, die ihre beiden ältesten Kinder mitgebracht hatten. Auch Caleb Sheramy und Roger waren erschienen. Mark Sheramy war vor vier Jahren an Sumpffieber gestorben. Er war einfach und sparsam gewesen, und dieses luxuriöse Leben hatte ihm mißfallen. Nach seinem Tode hatte Caleb auch Porzellan und Silbergeräte angeschafft und ließ den jungen Roger in Samt und Seide gehen. Er wollte, daß sein Sohn in ebenso reichen Verhältnissen aufwüchse wie alle die jungen Leute in der Gegend von Dalroy. Judith überlegte, ob sie ihrem Bruder von ihrer Begegnung mit Dolores erzählen sollte, aber sie unterließ es. Er konnte ihr doch nichts anbieten außer geldlicher Unterstützung. Dazu war er ja bereit, aber Dolores wollte nichts annehmen. Wenn Judith damit auch nicht einverstanden war, so achtete sie doch ihren Wunsch, daß man sie in Frieden lassen sollte.
Drei Stunden saßen sie bei Tisch. Es war kein Wunder, daß sie die Zeit nach dem Mittagessen bereits dem Abend zuzählten. Zuerst war ihr das sonderbar vorgekommen. Wenn sie aber ein großes Essen abhielten, zog es sich immer bis zum Abend hin.
Als die Gäste sich erhoben, brachten die Diener die Pferde für die Nachbarn,
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