Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
sich irgendwo in einem Gasthaus ein Zimmer gemietet und ließ es sich dort in froher Gesellschaft und Unabhängigkeit gut gehen. Dort hatte er ja größere Freiheit als zu Hause. Aber Philip kam zurück und berichtete, daß keiner seiner Bekannten und Freunde David gesehen hätte. Eine Woche später fuhr er in einem Boot den Strom bis Natchez hinauf und hielt unterwegs bei jeder Ortschaft an, aber wieder kam er allein nach Ardeith zurück.
Judiths Aufregung und Ärger schwanden, und schließlich wartete sie nur noch in Angst und Sorge. Zwei Monate gingen vorüber, und zwei weitere verstrichen, ohne daß sie von ihrem Sohne hörten oder jemand fanden, der ihnen hätte helfen können. Den Rest der Zuckerernte mußten sie umpflügen, weil sie keine Kessel und Maschinen hatten, um den Saft auszupressen und zu kochen.
Philip gab den Negern den Auftrag, die Zuckerschuppen, Maschinen und Kessel wieder aufzubauen. Er schien sich in die Arbeit stürzen zu wollen, um seine bösen Befürchtungen zu beschwichtigen.
»Warum arbeitest du jetzt so schwer?« fragte Judith, als er eines Abends nach Hause kam.
»Ich kann nicht schlafen, wenn ich nicht todmüde bin«, erwiderte Philip.
Darauf stellte sie keine weiteren Fragen an ihn. Wie er konnte auch sie die Untätigkeit nicht ertragen. Sie gewöhnte sich an, nachmittags weite Ritte auf die Felder zu machen, damit sie nachts Ruhe fand. Aber wenn sie auch schlief, träumte sie doch immer wieder, daß David bei irgendeiner einsamen Siedlung am Fluß tot ans Ufer geschwemmt wurde oder daß sein Skalp an dem Wigwam eines Indianers in den westlichen Wäldern hing. Als der Frühling ins Land zog, war ihr Haar an den Schläfen weiß geworden.
Sie wünschte nur, die Zuckerfelder lägen nicht so dicht bei dem Herrenhaus. Die Schößlinge, die im März aus dem Boden kamen, waren wie scharfe kleine Messer, die ihr ins Herz schnitten. Immer mußte sie daran denken, wie sehr David die Zuckerpflanzung geliebt hatte.
Im August, als David acht Monate verschwunden war, schlug Christoph vor, daß er ein Boot nehmen und nach Norden fahren wollte, um nach seinem Bruder Ausschau zu halten.
»Es hat keinen Zweck«, sagte Judith müde. »Jetzt ist er so lange fort. Wer weiß, wohin er inzwischen gekommen ist.«
Christoph legte die Hand auf ihren Arm. »Aber irgendwo muß er doch sein, Mutter. Wenn er tot wäre, hätten wir –«
»Christoph!« rief sie mit schriller, unnatürlicher Stimme.
Er versuchte sie zu beruhigen und ging wieder fort. Judith ließ ihr Pferd satteln und ritt auf die Felder. Verzweifelt fragte sie sich, warum die Menschen sich überhaupt Kinder wünschten.
Rita war wohl ein liebes, nettes Mädchen, aber noch zu jung, um die Mutter verstehen zu können. Von ihren Söhnen war der eine gestorben, der andere trieb sich als heimatloser Vagabund umher. Nur Christoph, der am wenigsten von ihrem Charakter geerbt hatte, war als ein guter Junge herangewachsen, mit dem sie zufrieden sein konnte. Diese Erkenntnis war ebenso bitter wie die quälenden Gedanken an David.
Sie blickte über die grünen Zuckerrohrfelder. Die Pflanzen wollten ohne David nicht recht gedeihen. Philip war nur mit halbem Herzen bei der Sache. Die Halme neigten sich zur Seite, als ob sie merkten, daß ihr Herr sie verlassen hatte. Aber sie sagte sich, daß sie nicht herausgekommen war, um David zu tadeln. Sie wollte niemandem einen Vorwurf machen, sondern nur allein sein und die schützenden Decken abstreifen, die man so gern über die eigenen Fehler breitete. Sie selbst war daran schuld, daß David sich noch so launenhaft wie ein Kind benahm, obwohl er zum Manne herangewachsen war.
Plötzlich wurde ihr klar, daß sie David nicht mehr besitzen konnte und wollte. Er war jetzt ein Mann und brauchte ihre Fürsorge nicht mehr. Ohne daß er es selbst wußte, schlug er sich nun in der Welt durch, um sich auch seelisch von ihr frei zu machen, wie er es körperlich schon war. Sie erinnerte sich an die furchtbare Nacht, in der sie ihn geboren hatte. Die Schmerzen, die sie damals ertragen hatte, erschienen ihr leicht im Verhältnis zu den qualvollen letzten Monaten. Sie erkannte, daß es ihr eigener Fehler war, wenn ihr diese zweite Trennung von ihm schwerer wurde als die erste.
Die Sonne ging unter, und die Dämmerung brach herein. Nach ein paar Minuten wurde es rasch dunkel, und die Sterne am Himmel begannen aufzuleuchten.
Judith lenkte ihr Pferd heimwärts. Bei dem Kerzenschein, der aus der Halle drang, sah sie
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