Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
einsam. Während er dort wachte, kam Roger Sheramy vorbei. Der Vetter hatte den Abend in der Stadt verbracht und auf dem Rückweg den Feuerschein bei den Zuckerschuppen bemerkt. So war er näher geritten, um zu sehen, ob David dort Wache hielte und ihn wohl noch begleiten würde, um ein Glas zu trinken. »Es ist mächtig kalt«, sagte David. »Ich will mit dir ein wenig die Straße entlang reiten, um mich aufzuwärmen. Hier ist ja alles in bester Ordnung.«
Wie konnte er auch voraussehen, daß der Wind plötzlich so heftig werden würde?
Er bedauerte seine Schuld aufs tiefste, aber zu seinem Erstaunen mußte er erkennen, daß man ihm nicht sofort verzieh. Hatte er denn nicht versprochen, nach diesem Unglücksfall in Zukunft viel sorgfältiger und vorsichtiger zu sein? Welchen Zweck hatte es, noch lange über eine Sache zu reden, die man doch nicht mehr ändern konnte?
»Ist es dir zum Bewußtsein gekommen«, fragte Philip, »daß du die ganze Plantage und alle Menschen, die hier wohnen, in Gefahr gebracht hast?«
»Ja! Und ich habe dir doch gesagt, wie leid es mir tut.«
»Ein wenig Alleinsein und Ruhe, um darüber nachzudenken, wie leid es dir wirklich tut, würden ganz gut für dich sein.«
»Was meinst du damit, Vater?«
»Wenn du einen Neger beim Feuer als Wachtposten zurückgelassen hättest, würde der halbtot geprügelt worden sein, wenn er sich aus dem Staube gemacht und dadurch ein solches Unglück verursacht hätte. Man hätte ihn dann eingesperrt, und er hätte seine Strafe verdient. Und wenn du nicht gelernt hast, mehr Verantwortung zu fühlen, als du sie von irgendeinem Sklaven verlangst –« Er stand auf und trat dicht vor David hin. »Dich kann ich nicht in eine Zelle sperren, weil du deine Pflicht vernachlässigt hast. Aber die Plantage ist als Ersatz für ein Gefängnis auch ganz gut. Von heute ab bleibst du sechs Monate lang innerhalb der Grenzen von Ardeith, und wenn du dich zusammennimmst und dir nichts zuschulden kommen läßt, verlasse ich mich vielleicht wieder auf dich.«
»Sechs Monate!« rief David atemlos.
»Ja!«
»Aber was soll ich denn den anderen Leuten sagen? Es ist doch unmöglich, daß ein junger Mann in meinem Alter eingesperrt wird wie ein kleiner Junge!«
»Wenn du dich wie ein kleiner Junge benimmst«, sagte Philip, während er zur Tür ging, »macht dein Alter nicht viel Unterschied.«
David war wütend und empört. Schwerer hätte ihn sein Vater kaum bestrafen können. Er ging gerne zu Bällen, Tanzvergnügen und fröhlichen Zechgesellschaften in den Gasthäusern. Wenn er nun ein halbes Jahr lang die Pflanzung nicht verlassen durfte, war das für ihn eine Katastrophe. Er sagte, er wäre volljährig und könnte tun und lassen, was er wollte.
»Aber nicht mit meinem Eigentum«, erwiderte Philip.
Eine Woche lang ertrug David die Haft. Aber als seine Eltern dann eines Morgens aufwachten, war er verschwunden. Er hatte nichts mitgenommen als ein Pferd und ein paar Kleidungsstücke, die man in die Satteltasche stecken konnte. Einige Tage und Nächte konnte Judith vor Unruhe nicht schlafen. Sie versuchte, sich mit dem Gedanken zu trösten, daß er dies nur in einer augenblicklichen Aufwallung getan hätte, weil man ihn gestraft hatte. Sicher würde er zurückkehren, sobald sein Taschengeld aufgezehrt war. Aber er erschien nicht wieder, und als die dritte Woche verflossen war, mußte sie zu ihrem Schmerz einsehen, daß er nicht die Absicht hatte, zurückzukommen.
Philip war ernster und in sich gekehrter, als sie ihn jemals gesehen hatte. Diese Wendung hatte er nicht erwartet. Aber er hätte doch daran denken können, warf sie ihm vor, als das lange Warten sie fast zur Verzweiflung gebracht hatte. Immer wieder war sie zum Fenster geeilt, wenn sie draußen Hufschläge gehört hatte. Immer hatte sie gehofft, daß David heimkommen würde. »Wie ein kleines Kind hast du ihn behandelt!« rief sie. »Du hättest wissen sollen, daß er das nicht ertragen würde.«
»Ach, sei doch ruhig«, sagte Philip, ohne sie anzusehen. »Für mich ist es auch nicht leicht, das weißt du.«
Judith ging im Zimmer auf und ab. Philip stand am Fenster und schaute hinaus.
»Was willst du nun unternehmen?« fragte sie schließlich.
»Ich werde nach Neuorleans reisen«, erklärte er kurz.
Während seiner Abwesenheit zwang sie sich zur Selbstbeherrschung. Immer wieder sagte sie sich, daß Philip ihn natürlich finden würde. David hatte nicht genug Geld, um weit fortzugehen. Vielleicht hatte er
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