Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
schrie Esther wieder auf. Ihr Vater hatte sie wild am Handgelenk gepackt. Ihre Hand brach auf, und die wenigen Geldstücke, die sie an dem Tag verdient hatte, fielen klirrend zu Boden. Als Gideon sich erhob, taumelte der Betrunkene zur Tür hinaus.
»Warte, Ma!« rief Esther zu ihrer Mutter hinüber und eilte zu Gideon. »Bist du sehr schwer verletzt?« fragte sie ihn atemlos.
Er stützte sich gegen die Wand und schüttelte den Kopf. Esther hatte eine Schramme an der Stirn, die heftig blutete.
»Es wird mir gleich wieder besser sein«, sagte Gideon. »Kümmere dich um deine Mutter! Ich glaube, sie ist ohnmächtig geworden.«
Zögernd wandte Esther sich von ihm ab und kniete neben der Frau nieder. Gideon bewegte sein Bein und versuchte, ob er wieder auftreten konnte. Langsam ging er zu Esther, die auf dem Boden saß und den Kopf ihrer Mutter in den Schoß genommen hatte. Gideon stützte sich auf den umgeworfenen Stuhl.
»Kannst du sie nicht wieder zum Bewußtsein bringen?« fragte er mitfühlend.
Sie sah zu ihm auf und schüttelte den Kopf. »Mutter wurde immer blau im Gesicht und hatte Atemnot, wenn der Vater versuchte, mich zu schlagen. Diesmal ist es zuviel für sie geworden. Ich glaube, es ist mit ihr zu Ende.«
»Großer Gott!« sagte Gideon leise und setzte sich neben Esther auf den Fußboden. Sie vergrub das Gesicht in den Händen, und Tränen rannen durch ihre Finger, rot gefärbt von dem Blut, das von ihrer Stirn herunterlief.
»Du weißt nicht, wie mir zumute ist, Gideon. Meine Mutter war die ganze Zeit so krank, aber sie war immer so gut und lieb zu mir. Und ich glaube, du verstehst auch nicht, wie es mit meinem Vater ist. Sie hat ihn wirklich sehr geliebt. Ich kann es vor Gott beschwören, daß sie ihn gern hatte. Und sie hat auch immer gesagt, daß er früher gut und fleißig war. Aber dann kam das Unglück, und er verlor sein Bein. Da war es aus mit ihm.«
Ihre Stimme versagte. Gideon legte den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. Der Kopf ihrer Mutter glitt von ihrem Schoß auf den Boden, und sie weinte an seiner Brust. Er konnte hören, wie die Leute in den anderen Räumen des Hauses schrien und schwatzten. Es war beinahe dunkel geworden, und die Flammen auf dem Herd warfen ein unruhiges Licht in die Stube.
»Ich möchte nur wissen, was ich jetzt tun soll«, sagte Esther schließlich.
Diese Worte brachten ihn wieder zu sich. »Wenn du es wirklich nicht weißt, werde ich es dir sagen. Morgen in aller Frühe heiraten wir, und ich werde dich schon beschützen. Wenn dein betrunkener Vater dir noch einmal etwas zuleide tun will, schlage ich ihn tot.«
Sie hatte das Gesicht immer noch an seiner Brust verborgen. »Er hat mich gut behandelt, als ich noch klein war«, erwiderte sie leise.
»Ja, aber jetzt tut er es nicht mehr. Willst du mich nicht heiraten, Esther?«
Sie nickte. »Ich kann doch allein nicht durchs Leben kommen. Ach, du bist so gut«, rief sie und legte die Arme um ihn.
Gideon nahm sie an dem Abend zu seiner Schwester mit, bei der er selbst nach dem Tode seines Vaters ein Unterkommen gefunden hatte. Ihr Mann hatte eine gute Stellung als Wächter in einem der Lagerhäuser von Valcour. Die Wohnung bestand aus drei Räumen, so daß Lulie und ihr Mann ein Schlafzimmer für sich allein hatten. In der Nacht schlief Esther mit Gideon und den Kindern in einem Raum. Am nächsten Morgen holte er einen Mann, der Esthers Mutter beerdigte. Sie legten sie in ein Grab des allgemeinen Kirchhofs.
Esther sagte, es wäre nicht recht, einen Tag nach dem Tode ihrer Mutter zu heiraten, aber Lulie war vernünftiger und redete ihr zu. Sie sagte, es wäre immer noch besser, als daß Esther mit Gideon im selben Raume schliefe, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Ihre Mädchen schliefen zwar auch bei ihm, aber das wären doch kleine Kinder, die außerdem mit ihm verwandt wären. So ließen Esther und Gideon sich trauen und mieteten ein Zimmer in einer anderen Straße. Lulie sah es sehr ungern, daß Gideon von ihr fortzog, denn er hatte für sein Nachtquartier gezahlt, und dieser Zuschuß hatte immer sehr geholfen. Aber sie sah ein, daß er und Esther eine Wohnung für sich allein brauchten.
Esther war eine gute Hausfrau. Sie arbeitete hart und sorgte gut für ihn. Jeden Morgen bereitete sie ihm ein schmackhaftes Frühstück und packte ihm ein stärkendes Mittagessen ein, das meistens aus geröstetem Maisbrot und Setzeiern bestand. Manchmal reichte es auch zu einer Apfelsine. Und sie hielt sich sehr
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