Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
»Ich möchte sie nur gern selbst einmal sehen und sprechen«, antwortete sie.
»Es tut mir leid, daß sie nicht kommen kann«, erwiderte er. »Sie hat mich ausdrücklich gebeten, es Ihnen zu sagen, denn Sie denken vielleicht, daß sie sich nicht um Ihre kranke Mutter kümmert. Aber sie ist im dritten Monat, und man braucht drei Stunden oder mehr, wenn es gerade geregnet hat, um den Weg zurückzulegen. Ich möchte sie deshalb nicht hierherkommen lassen. Der Weg ist so uneben, und ein Stoß im Wagen könnte ihr Tod sein.«
Judith nickte. »Es ist schon gut. Ich danke Ihnen, daß Sie so gut zu uns sind.«
Sie sah ihm nach, als er fortging, und fühlte sich einsam und verlassen. Angst erfüllte sie aufs neue. Sie beneidete Gervaise, die in einem großen Hause wohnte, umgeben von vielen Dienstboten. Gervaise hatte auch schon vorher ein Kind gehabt und wußte wenigstens, was sie zu erwarten hatte. Auch aus diesem Grunde beneidete Judith die andere.
Tibby fragte sie eines Tages: »Miß Judith gehen mit kleine Baby?«
Im ersten Augenblick wußte Judith nicht, was die Schwarze meinte, aber als sie dann verstand, rief sie: »Daß du meinem Vater nichts davon sagst! Er hat schon genug Sorgen.«
»Ja, Mäm«, antwortete Tibby und ging fort, während sie leise etwas vor sich hinmurmelte. Als aber Philip das nächste Mal kam, nahm sie ihn beiseite und sagte zu ihm: »Mr. Philip müssen junge Miß nach Hause nehmen. Müssen ausruhen.«
Aber Judith wollte nicht gehen. Es war jetzt August, und sie ahnte, daß ihre Mutter nicht mehr lange durchhalten konnte. Catherine warf sich im Fieber unruhig auf ihrem Lager hin und her und sprach abgerissene, unverständliche Worte. Der Vater wanderte so schweigsam und bedrückt im Hause und auf den Feldern umher, daß es Judith schwerer wurde, seinen stillen Schmerz zu ertragen, als die wirren Fieberphantasien ihrer Mutter zu hören.
Sie konnte nicht viel mehr tun als die Kissen glätten und die heiße Stirn der Kranken durch nasse Tücher kühlen. Aber auch dies hatte wenig Zweck, denn es war noch immer glutender Sommer, und man konnte kein wirklich kaltes Wasser bekommen. Bevor es mit ihrer Mutter zu Ende ging, schickte Judith einen der schwarzen Feldarbeiter zu Philip und bat ihn, zu ihr nach Silberwald zu kommen. Er erfüllte ihren Wunsch auch, aber seine Haltung war einer solchen Zeit wenig angemessen. Er war schmerzlich berührt und verstört wie ein Kind, denn einer solchen Krisis gegenüber war seine eigene kräftige Natur hilflos.
Kurz vor ihrem Tode wurde Catherine ruhiger. Der irre Blick schwand aus ihren Augen, und sie fragte nach Mark. Judith holte ihren Vater und wartete dann mit Philip und Caleb im Vorderzimmer. Nach einer Weile kam Mark heraus und schloß die Tür leise hinter sich. Er sprach kein Wort und ging mit schweren Schritten auf die Veranda hinaus. Zum erstenmal durchzuckte Judith der Gedanke, daß er aussah wie ein alter Mann. Sie wußte, daß es vorüber war, obwohl er es nicht gesagt hatte. Was mochten er und die Mutter wohl in diesen letzten Minuten gesprochen haben? Sie wußte, daß sie es nie erfahren würde. Auch sie hatte bereits erlebt, daß zwei Menschen, die verheiratet waren, etwas Gemeinsames verband, das niemand lösen konnte. Im nächsten Augenblick griff sie nach Philips Hand, und sie traten zusammen auf die Veranda hinaus. Caleb folgte ihnen, blieb aber auf der Türschwelle stehen.
Mark saß auf der Treppenstufe und hatte die Stirn in die Hände gestützt. Judith ging leise zu ihm und legte die Hand auf seinen Kopf. Wie stark und voll sein Haar noch war! Mark schaute nicht auf.
»In diesem weichen Land gibt es nicht einmal einen Stein, den man auf ihr Grab setzen könnte«, sagte er nur.
Judith war so erschüttert, daß sie kaum atmen konnte. Philip legte den Arm um sie. Wie sonderbar, daß sie jetzt nicht weinen konnte, obwohl ihr sonst die Tränen so leicht kamen.
Die Sklaven zimmerten einen Sarg aus Zypressenholz, und am nächsten Tage kam der Pfarrer von St. Margarethen zur Beerdigung. Auch Walter Purcell erschien mit verschiedenen Freunden, die sich ihr Vater in dem neuen Lande bereits erworben hatte. Sie brachten herrliche Blumen, Gardenien und weiße Rosen, und legten sie auf den Sarg. Judith sah sich nach Philip um. Den ganzen Tag über war sie so beschäftigt gewesen, daß sie ihn aus den Augen verloren hatte. Sie konnte ihn nicht entdecken, und sie hoffte nur, daß ihr Vater in seiner Trauer es nicht bemerkte. Caleb war es
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