Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
nach Hause. Er war durchnäßt und durchkältet, hatte ein böses Gewissen und war leicht angetrunken, denn er hatte bis spät in die Nacht in einem Gasthaus gesessen. Der Regen hatte die Wege in Morast verwandelt, so daß er sieben Stunden zur Heimfahrt gebraucht hatte.
Trotz des klatschenden Regens hörte er Judiths Schreie. Als der Wagen vor der Tür hielt, sprang er heraus, rüttelte an der Tür und rief Angelique zu, wer er war. Sie zog den Bolzen zurück, und mit tropfenden Kleidern trat er ein.
Judith erhob sich halb aus dem Bett und schrie: »Philip! Schaffe die entsetzlichen Tiere fort!«
Im ersten Augenblick konnte er sich nicht rühren. Das Bett stand in der Mitte des Zimmers. Angelique hatte Löcher in die Ecken des Bettuches gerissen und sie an die Bettpfosten gebunden, um den Regen abzuhalten, denn das Wasser drang durch mehr als ein Dutzend undichte Stellen im Dach herein.
Philip trat an das Bett. Im Schein des Herdfeuers sah er Todesangst auf Judiths gelblichweißem Gesicht. Die Bettücher waren fortgenommen, und auf den Moosmatratzen zeigten sich feuchte Stellen. Die Steppdecke, die Angelique über Judith gebreitet hatte, war beiseite gestoßen, und überall wimmelte es von Ameisen. In Zügen krochen sie über Judiths Körper.
Sie sah zu ihm auf und murmelte durch die zusammengebissenen Zähne: »Bitte, schaffe sie fort, Philip!«
»Ja«, erwiderte er. Mit den Händen wischte er sie ab und schleuderte die Decke auf den nassen Boden. »Judith«, sagte er, während er angestrengt arbeitete, um die Ameisenplage zu bewältigen, »kannst du verstehen, was ich sage? Verzeihst du mir, daß ich dich so im Stich gelassen habe?«
Sie nickte.
Philip hob sie auf und fegte die kleinen schwarzen Tiere von ihr ab. Er nahm eine Schabe von der Matratze, warf sie auf den Boden und zertrat sie. Angelique hatte die Füße des Bettes nicht heben können, aber Philip hielt einen Pfosten nach dem anderen hoch, so daß sie einen Wassertopf darunterstellen konnte, der weitere Ameisen hinderte, ins Bett zu kriechen. So schnell er konnte, entfernte er die Tiere von Judiths Armen und Beinen. Schließlich setzte er sich auf die Matratze und wischte den Schweiß von ihrer Stirn. Hilflos sah er, wie die Muskeln an ihrem Hals während der Krämpfe wie Stricke hervortraten.
Judith unterdrückte einen Schrei, tastete nach seinen Händen und klammerte sich an ihn, während die Wehen sie schüttelten. Er sah rote Flecken an ihren Beinen, wo die Ameisen sie gebissen hatten. Angelique suchte die letzten totzudrücken, die sich in den Falten der Matratze verborgen hatten. Graues Licht fiel durch die Ritzen der Wände, und in dieser Beleuchtung entdeckte er einige Ratten, die an einem Sack Kartoffeln in der Ecke nagten. Zum erstenmal in seinem Leben hielt Philip sich selbst für einen nutzlosen Menschen, wie es früher alle Leute an der Küste von Karolina gesagt hatten. Er erinnerte sich an die Worte seines Vaters, der ihm erklärt hatte, es würde eines Tages etwas geschehen, um es ihm selbst klarzumachen.
Nun fragte er sich, ob Judith wohl jemals glauben würde, daß er sie wirklich liebte. Erbittert über sich selbst beschloß er, immer zärtlich zu ihr zu sein, so daß sie es doch noch begreifen mußte.
»Judith, mein liebes Kind, es tut mir so leid, daß alles so gekommen ist. Bitte, sage mir, daß du meine Worte verstehst!«
Sie versuchte zu sprechen, aber es kam nur ein heiserer Laut aus ihrer Kehle. Er wußte nicht, ob sie ihm antwortete oder nicht.
Wieder wollte er zu ihr sprechen, aber in dem Augenblick richtete sie sich mit einem furchtbaren Schrei auf. Dann sank sie erschöpft zurück. Ihr Gesicht war so aschgrau, daß er dachte, sie wäre tot. Er sprang auf und neigte sich über sie. Beglückt sah er, daß sie noch atmete.
Hinter ihm sagte Angelique: »Mais il est beau, Monsieur Philip!«
Er neigte sich wieder über Judith.
»Liebes Kind, es ist alles vorüber. Du hast einen Sohn geboren.«
Judith lag ruhig und hatte einen Arm über die Augen gelegt. Als Angelique später das Kind brachte, war Judith vor Erschöpfung eingeschlafen. Die Dienerin hatte es in eine Kalikoschürze eingewickelt, weil diese das einzige trockene Kleidungsstück im Raum war.
Philip deckte Judith mit einem pelzbesetzten Mantel zu, den er in Marseille gekauft hatte.
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P hilip sagte, sie müßte für den ersten Kirchgang als junge Mutter ein weißes Kleid haben, und Judith ließ es Angelique aus einer Rolle elfenbeinfarbener Seide
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