Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
anfertigen. Gervaise hatte ihr den Stoff gesandt, als sie von der glücklichen Geburt des Sohnes gehört hatte.
Philip nannte das Kind ›David‹ nach seinem eigenen Vater. »Das soll mich an etwas erinnern«, sagte er. Obwohl Judith nicht wußte, was er damit meinte, war sie doch einverstanden. Ein Name war ebensogut wie der andere, solange sie nur jeden Morgen ihr Kind sehen konnte, das ihr jedesmal wie ein neues Geschenk vorkam. Der Kleine war kräftig und gesund, und da sie sich jetzt wieder erholt hatte, erschien ihr die Nacht, in der er geboren wurde, fern wie ein böser Traum.
An dem Sonntag, an dem sie eingesegnet wurde, fuhr sie nach Lynhaven, um bei Gervaise zu bleiben, bis das Mooshaus in Ardeith fertiggestellt war. Sie ging nur ungern, denn das Blockhaus kam ihr jetzt nicht mehr so übel vor, nachdem alle Spalten und Ritzen ausgekittet waren. Aber seit der Nacht, in der David zur Welt gekommen war, hielt Philip das Leben darin für unerträglich. Er ärgerte sich über die Ritzen zwischen den Balken und über die Ameisen, es paßte ihm nicht mehr, daß man in einem Raum schlafen und kochen mußte, und er sagte immer wieder, daß er nicht verstehen könnte, wie Judith dieses Dasein überhaupt ausgehalten hätte. Obwohl ihr der Gedanke schrecklich war, ihn allein zu lassen, gab sie doch schließlich nach und stieg mit Gervaise in den schönen Wagen, den Walter Purcell vor kurzem aus Neuorleans erhalten hatte. Auch Gervaise war erst vor kurzem nach ihrem letzten Kindbett aufgestanden.
Angelique fuhr hinter ihnen in einem Wagen mit der Amme, die Philip aus den Negerquartieren für den kleinen David ausgesucht hatte. Judith flüsterte Gervaise zu, daß sie zuerst von heftigem Schrecken gepackt worden sei, als sie ihr rosiges Kind an den Brüsten einer schwarzen Frau gesehen habe. Philip hatte ihr allerdings versichert, daß keine der Frauen, die sich Sklaven hielten, sich die Mühe gäbe, ihre Kinder selbst zu stillen. Gervaise lachte und erwiderte leise, daß auch sie eine schwere Aufgabe mit ihren Kindern hätte – beide waren hier in der St.-Margarethen-Kapelle getauft worden, obwohl sie selbst katholisch war. König Georg III. gestattete keine katholischen Kirchen in dem englischen Louisiana. Aber sie hatte ihre Kinder heimlich selbst noch einmal getauft, um sicher zu sein. Nach diesen vertraulichen Geständnissen lachten sie herzlich und fühlten sich wie zwei Freundinnen.
Jeden Sonnabend kam Philip nach Lynhaven und blieb bis zum Sonntagabend. Obwohl Judith ihn in der Zwischenzeit sehr vermißte, freute sie sich jetzt doch, daß sie sich dort aufhalten konnte. Gervaise war eine untadelige Gastgeberin und hielt ihren Haushalt mustergültig in Ordnung, obwohl sie selbst nicht imstande war, irgendeine Arbeit zu verrichten. Sie bewunderte Judith, die selbst kochen und feine Säume nähen konnte.
Judith fand es herrlich, jeden Morgen so lange im Bett zu liegen, bis Angelique mit dem Kaffee kam. Den Tag brachte sie mit Reiten und Plaudern zu, oder es wurden neue Kleider angeprobt, die nach Modellpuppen von Paris hergestellt wurden. Philip sagte ihr bei seinen Besuchen, daß sie sich ändere. Sie selbst fühlte das auch unbestimmt; es war, als ob der Rhythmus ihres Körpers sich dem nachlässigen und sorgloseren Leben anpaßte, das die Plantagenbesitzer am Mississippi führten. Auch ihre Geistesrichtung stellte sich dementsprechend ein. Es war so leicht, hier das Dasein von der heiteren Seite zu nehmen.
Aber niemals, dachte Judith, würde sie es lernen, so gleichgültig zu sein wie Gervaise. Niemals würde sie das Leben so unbeteiligt betrachten können wie Gervaise, als ob es nur ein amüsantes Schauspiel wäre. Manchmal beneidete sie die Freundin um diese Ruhe, manchmal aber auch empfand sie deshalb Mitleid mit ihr. Es war eine Einstellung zum Leben, die vor Ungemach und Ärger schützte, gleichzeitig aber auch große, leidenschaftliche Erlebnisse, aufwühlenden Schmerz und jubelnde Freude von einem Menschen fernhielt. Obwohl Gervaise mit Erfolg ihr Leben in ihrem Heim so angenehm wie möglich gestaltete, glaubte Judith doch nicht, daß Gervaise einen anderen Menschen so lieben könnte, wie sie selbst Philip zugetan war. Sicherlich liebte Gervaise ihren Mann nicht so stark, wenn sie ihn auch gern hatte und die beiden niemals in Meinungsverschiedenheiten gerieten.
Gervaise erzählte Judith sachlich und ruhig von ihrer Heirat. Es war klar, daß sie Philip für einen liebenswürdigen Taugenichts und
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