Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
Das ist doch Dolores! Mädchen, was tust du denn hier?«
Dolores zuckte leicht zurück. Judith, die nun auch durch die Tür getreten war, sah, daß Philip und die anderen sich erhoben.
»Erlauben Sie –« sagte Philip.
»Ach, eine Vorstellung ist überflüssig!« rief Mr. Thistlethwaite und nahm ein Glas vom Tablett. »Weiß Gott, das erinnert mich an die alten Zeiten! Wie oft habe ich ein Glas mit Dolores getrunken!«
»Ach, kennen Sie sich?« fragte Caleb erstaunt.
Dolores fand ihre Stimme wieder. Sie kniff die Lippen zusammen. »Ich habe diesen Herren noch nie in meinem Leben gesehen.«
Mr. Thistlethwaites Gesicht rötete sich noch mehr, als er sich räusperte.
»Nun – hm – ich vermute –«
»Ich glaube, Sie irren sich, Mr. Thistlethwaite«, sagte Philip ruhig. »Die Dame, mit der Sie sprechen, ist Mrs. Caleb Sheramy. Darf ich Ihnen nun auch meine Frau vorstellen?«
»Sehr erfreut, Madame.« Mr. Thistlethwaite verbeugte sich tief und unterdrückte ein Lachen. »Aber ist das nicht das sonderbarste Zusammentreffen! Mrs. Sheramy, ich bitte tausendmal um Verzeihung, und auch Sie, Mr. Sheramy, aber ich möchte verdammt sein – ach, entschuldigen Sie, meine Damen –, wenn diese Lady nicht genau so aussieht wie ein Mädchen, das ich früher in Neuorleans kannte. Man möchte sie geradezu für ihre Zwillingsschwester halten. Wie aus dem Gesicht geschnitten, sage ich Ihnen! Ist das nicht seltsam?«
Er schlug sich mit der Hand auf die Hüfte und lachte. Aber niemand stimmte ein, und niemand sagte ein Wort.
»Sie hieß Dolores Bondio und kam von Kuba herüber, um die Gäste in Miß Juanitas Kneipe zu bedienen. Ein hübsches Mädel! Sie wäre noch schöner gewesen, wenn ihr nicht ein Zahn gefehlt hätte. Aber man konnte sie einen ganzen Monat kennen, ohne es zu sehen, denn wenn sie lachte, verzog sie den Mund nach der anderen Seite. Mrs. Sheramy, ich bitte nochmals um Verzeihung, daß ich Sie auch nur einen Augenblick mit ihr verwechseln konnte!«
Dolores' Lippen zitterten, Calebs sonnengebräuntes Gesicht sah plötzlich fahl aus. Sein Vater hielt einen Stuhl so krampfhaft umklammert, daß die Muskeln auf seinem Handrücken scharf hervortraten.
»Da Sie erklärten, daß Sie sich geirrt haben«, sagte Philip verbindlich, »wird Mrs. Sheramy Ihre Entschuldigung sicher annehmen. Aber Sie sprachen eben so interessant von dem Gefecht bei Bunker Hill – möchten Sie uns davon nicht noch etwas erzählen?«
Dolores hatte sich hoch aufgerichtet und hielt ihr Weinglas fest in der Hand. Als Philip zu sprechen aufgehört hatte, warf sie es Mr. Thistlethwaite ins Gesicht.
»Sie verdammter Bastard!« schrie sie, und bevor er sich von dem Schrecken erholen und den Wein aus den Augen wischen konnte, überschüttete sie ihn mit einer wahren Sturzflut von gemeinen Schimpfworten.
Philip packte sie am Handgelenk. »Dolores, laß das!«
Caleb riß sie von ihm fort. »Ich werde mich darum kümmern«, sagte er. Er schien kaum die Lippen zu bewegen. »Ich bringe sie nach Hause. Sei so gut und lasse die Pferde vorführen.«
8
W eiter!« sagte Caleb. »Was machte dein Vater in Havanna?«
»Er arbeitete in einem großen Stall, in dem Pferde vermietet wurden«, erwiderte Dolores finster.
»Wie lange warst du in Neuorleans?«
»Drei oder vier Jahre. Ich kann mich nicht genau darauf besinnen.«
»In der Kneipe hast du die Gäste bedient. Was hast du sonst noch dort getan?«
»Ach, sei still!« schrie sie und preßte die Hände gegen die Schläfen. »Ich wollte ja gar nicht, daß die Sache weiterginge, als du mich an jenem Morgen am Uferdamm ansprachst. Ich habe den Männern immer alle möglichen Geschichten von mir erzählt, weil ihnen das gefiel. Und dann sagtest du, daß du eine Plantage oben am Fluß hättest –«
Er stand auf und kniff die Augen zusammen. »Du glaubtest wohl, du könntest mich leicht zum Narren halten?«
Nun geriet auch Dolores in Wut. »Ach, du warst ja auch ein so dummer Bauerntölpel! Bestimmt wärst du in der Stadt in die größten Schwierigkeiten gekommen – an deiner Stelle würde ich Gott auf den Knien danken, daß du nichts Schlimmeres gefunden hast als mich!«
Sie ging zur anderen Seite des Zimmers und wieder zurück, während sie die Fäuste aufeinanderschlug. Schließlich blieb sie vor ihm stehen und hob bittend die Hände.
»Caleb, ich dachte nicht, daß es so schrecklich wäre! Ich wollte so gerne zur Gesellschaft gehören und eine richtige vornehme Dame werden. Meine Tante
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