Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
machen, so war sie doch im Wege. Wenn bei Tisch eine Fremde Judith und Philip gegenübersaß, konnten sie keine scherzhaften Bemerkungen austauschen und sich nichts Liebes sagen, wie sie es gewöhnlich taten. Sie konnten auch nicht über die vielen Einzelheiten ihres gemeinsamen Lebens sprechen, die für die Ohren eines anderen zu zart waren.
Judith war so herzlich wie möglich zu Dolores und sagte ihr, wie lieb es von ihr wäre, beim Nähen der Kinderkleider zu helfen, aber trotzdem wünschte sie die Schwägerin wieder fort.
Dolores war sehr still. Nur wenn sie mit den Kindern spielte, lachte sie vergnügt. Sie brachte ihnen Volkslieder in ihrem Gumbo-Spanisch bei und erfand nette kleine Spiele für sie. Judith fragte sie manchmal, ob ihr die Kinder nicht zur Last fielen. »Die Amme kann sich doch um sie kümmern«, meinte sie.
Aber Dolores schüttelte eifrig den Kopf. »Ach, bitte, laß mich mit ihnen spielen! Ich liebe Kinder so sehr!«
So ließ Judith sie gewähren.
Nur im Umgang mit den Kindern leuchteten Dolores' Augen auf. Sonst zeigte sich von der sprühenden Lebhaftigkeit, die Judith zuerst so gut an ihr gefallen hatte, kaum noch etwas. Über sich selbst sprach sie kaum ein Wort.
Judith hatte auch wenig Grund, sich über sie zu ärgern, bis sich eines Nachmittags im November ein Zwischenfall ereignete. Sie hatte eine Anzahl ihrer Bekannten zum Essen eingeladen. Danach spielten sie Karten. Gervaise war gekommen, Sylvie Durham und noch ein halbes Dutzend anderer Damen. Dolores erwartete die Geburt ihres Kindes in ein oder zwei Wochen, aber sie sagte, sie fühle sich wohl genug, und sie würde so gerne Karten spielen. In Silberwald gab es überhaupt keine Karten, und Judith erinnerte sich daran, wie unangenehm es ihr zuerst gewesen war, daß in Louisiana alle Leute um Geld spielten. Aber später hatte sie sich daran gewöhnt und sogar Gefallen daran gefunden.
Dolores war in guter Stimmung, obwohl sie zuerst schlecht spielte und verlor. Sie lachte über sich selbst und erheiterte die anderen mit ihren Bemerkungen. Judith hatte sie nicht so vergnügt gesehen, seitdem sie nach Ardeith gekommen war, und machte sich Vorwürfe, daß sie nicht eher herausgefunden hatte, wie sehr Dolores das Kartenspiel liebte. Sie konnte Sylvie Durham nicht leiden, weil diese so anmaßend stolz als Kreolin auftrat und immer betonte, daß die Kreolen besser wären als irgend etwas, das aus England käme.
Aber an diesem Tag gab sich Sylvie Durham freier und war ebenso fröhlich wie die anderen.
Dolores begann zu gewinnen, aber sie tat es in einer ebenso liebenswürdigen und anmutigen Weise, wie sie vorher verloren hatte. Judith kam der Gedanke, daß ihre Schwägerin vielleicht gesellschaftlich doch ein großer Erfolg geworden wäre, wenn Mr. Thistlethwaite ein Jahr später aufgetaucht wäre. Sie bedauerte seinen Besuch auch um ihrer selbst willen, denn das gesellige Leben in dieser Gegend war etwas eintönig, und man konnte niemand entbehren, der unterhaltend war. Vielleicht ließ Caleb sich doch besänftigen, und im Laufe der Zeit würden die Leute alles vergessen.
Als man aufbrach, hatte Dolores den anderen alles abgewonnen, aber sie schienen darüber froh zu sein.
»Ich habe selten einen so angenehmen Nachmittag verlebt«, rief Sylvie Durham, als sie vom Tisch aufstand. »Dolores, sobald Sie wieder ausgehen können, müssen Sie uns besuchen.«
»Das wird mir großes Vergnügen machen«, erwiderte Dolores. »Soll ich mit Ihnen gehen und Ihren Hut holen?«
»Ja, kommen Sie, bitte. Sie wissen, auch ich bin Kreolin. Sie sprechen doch französisch.«
Arm in Arm entfernten sich die beiden.
Judith ging mit Gervaise zu deren Pferd. Gervaise lächelte ihr zu, als sie in den Sattel stieg.
»Wir hatten wirklich einen sehr schönen Tag, meine Liebe.« Sie sah sich verstohlen um und fügte dann leise hinzu: »Kann ich ihr irgendwie helfen?«
»Nein, danke, es geht ihr soweit gut.«
»Ja, das muß ich auch sagen.« Gervaise drückte Judiths Hand. »Ich hoffe nur, dein Bruder gibt sein törichtes Benehmen bald auf. Aber es ist einfacher, töricht zu sein, wenn es sich um eine Ehe handelt.«
»Glaubst du?«
»Ja. So wenige Menschen sind vernünftig genug, mit Ruhe hinzunehmen, was das Schicksal für sie bereit hält.«
Dolores trat mit Sylvie aus dem Haus, und sie verabschiedeten sich freundschaftlich voneinander. Als die Gäste weggeritten waren, legte Dolores ihren Arm in den Judiths, und sie stiegen zusammen die Treppe zum
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