Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
Seiten und besagte, daß Dolores Sheramy, nachdem sie versucht hatte, ihren rechtmäßigen Gatten Caleb Sheramy zu ermorden, und nachdem sie ihn durch Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu veranlaßt hatte, sie zu heiraten, hierdurch der Gnade des Königs für verlustig erklärt wurde. Der verbrecherische Anschlag auf das Leben ihres Ehegemahls zeige außerdem, daß sie unwürdig sei, der Vormund ihres Kindes zu sein, das sie dem besagten Caleb Sheramy ehelich geboren habe. Unter diesen Umständen hatte das Gericht Caleb Sheramy allein damit beauftragt, den besagten Roger Sheramy in der treuen und wahren Religion der Kirche von England aufzuziehen, so daß er ein guter Untertan des Königs von England werden sollte.
Judith wartete auf der Veranda, als Philip vom Gericht zurückkehrte. Er stieg vom Pferde und ging langsam die Stufen hinauf.
»Nun, wie ist es ausgegangen?« fragte sie.
Er nahm eine Abschrift des Urteils aus der Tasche und reichte sie ihr. »Es ist so gekommen, wie wir fürchteten.«
Judith lehnte sich gegen das Geländer. »Muß ich es ihr sagen, Philip?«
»Das wäre wohl besser. Was wird sie jetzt machen?«
»Ich weiß es nicht. Es wird furchtbar für sie sein. Sie hat sich in der letzten Zeit immer eingeredet, daß das Gericht anders entscheiden würde.«
Philip schlug mit der Reitpeitsche gegen den Pfosten der Veranda. »Immerhin, meine liebe Judith, wenn dich das trösten sollte, kann man schließlich sagen, daß sie die ganze Sache sich selbst zuzuschreiben hat. Beinahe hätte sie doch Caleb totgeschossen. Und du hast wirklich alles für sie getan, was du tun konntest.«
Dolores kam auf die Veranda heraus. Sie blieb stehen und sah fragend auf das Dokument, das Judith in der Hand hielt.
»Wie haben sie entschieden?« fragte sie nach einer kurzen Pause.
Judith reichte ihr das zusammengefaltete Schriftstück. Dolores öffnete es und blätterte die Seiten um, dann gab sie es zurück.
»Du weißt, daß ich nicht Englisch lesen kann!« rief sie.
»Ach, ich vergaß ganz.« Judith faßte sich und ordnete die Seiten der Reihe nach. »Das Urteil lautet: ›Allen Leuten zu wissen durch dieses Schriftstück: Im Namen Seiner Majestät Georgs III. durch Gottes Gnade König …‹ Ach, Philip, lies du es ihr bitte vor!«
Dolores hatte die Hände auf den Rücken gelegt und lehnte sich gegen die Türfüllung. Philip las das Urteil und die Begründung vor, so schnell er konnte. Manchmal stolperte er über die langatmigen Sätze und die Zierate der sonderbar verschnörkelten Schrift. »… Gegeben in der Stadt Dalroy im Lande Louisiana am dritten Tag des Monats Juli Anno Domini 1779.«
Dolores hatte reglos zugehört. Philip und Judith erwarteten, daß sie laut aufschreien, weinen oder schimpfen würde, aber sie blieb still, als ob Philip noch weiterläse. Schließlich streckte sie die Hand aus. »Willst du mir das geben?« fragte sie leise.
»Ja, hier ist es.« Mitfühlend fügte er hinzu: »Dolores, es tut mir furchtbar leid.«
»Danke«, erwiderte sie und ging hinein. Sie hörten, wie sie ihre Zimmertür schloß.
»Soll ich zu ihr gehen, Philip?« fragte Judith.
»Nein, das würde ich nicht tun. Wir wollen lieber zu Abend essen und sie in Ruhe lassen.«
»Gut. Wenn du dich waschen willst, schicke ich dir heißes Wasser.«
Judith ging bedrückt ins Haus. Sie hatte Mitleid mit Dolores. Die Frau mochte ja verdient haben, was jetzt über sie kam, aber in Judith regte sich trotzdem heftiger Widerspruch. Niemand würde sie je dazu bringen, ein so hartes Urteil zu fällen. Als sie an Dolores' Tür vorüberkam, hörte sie, daß diese verzweifelt schluchzte. Es war ein heiseres, trockenes Weinen, das ihren Körper schüttelte.
Dolores kam an dem Abend nicht wieder aus ihrem Zimmer, und Judith ließ auch die Diener nicht hineingehen, die es gut meinten und ihr Speisen und Kaffee bringen wollten.
Als Philip und Judith in ihrem Schlafzimmer waren, sagte er, daß Dolores wahrscheinlich betrunken sei. »In der letzten Zeit hat sie hin und wieder Whisky und Kognak aus dem Schrank genommen, wenn sie die Aufregung und die Ungewißheit nicht mehr ertragen konnte.«
»Ich kann ihr deshalb keinen Vorwurf machen.« Hätte Dolores an diesem Abend Opium genommen, Judith hätte sie nicht daran gehindert.
Als Philip sich zur Ruhe legte, schlang sie die Arme um ihn. Sie dachte darüber nach, wodurch sie es verdient haben könnte, in soviel Glück und Wohlstand zu leben. Es schien ihr, daß Gott der Herr ihr alle
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