Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
Ich habe ihn Roger genannt – nach einem großen Prediger.«
»Das ist gut. Ich bin damit einverstanden.«
Mark feuchtete die Lippen an und steckte die Hände in die Rocktaschen. Nur selten trug er eine Perücke, aber zu Ehren dieser besonderen Gelegenheit hatte er eine aufgesetzt, und er runzelte nun die Stirn, als ob die ungewohnte Kopfbedeckung ihm lästig fiele.
»Caleb wird bald kommen und dich besuchen«, sagte er.
Dolores wandte das Gesicht ab und begann leise zu weinen, ohne zu schluchzen. »Bitte, geh fort«, murmelte sie. »Du alte Essigflasche.«
Mark nahm eine Hand aus der Tasche und spielte mit einem Knopf seines Rockes. Judith streichelte leise Dolores' Haar.
»Wir wollen wieder gehen, Vater«, flüsterte sie Mark zu.
Er nahm ihren Arm, und sie verließen das Zimmer. In der Halle sagte er: »Es ist Zeit, daß ich wieder aufbreche.«
»Willst du nicht mit uns zu Abend speisen? Das Essen ist beinahe fertig.«
»Nein, ich will gehen. Du –« er zögerte, »du bist sehr gut zu ihr gewesen.«
»Nein, ich habe mich grauenhaft benommen. Ich habe mein Bestes getan und war doch schrecklich zu ihr.«
»Ich glaube, wir können Leute ihrer Art kaum verstehen.« Mark seufzte und ging hinaus.
Das Kind war sechs Tage alt, als Caleb nach Ardeith kam.
Er sehnte sich glühend danach, sein Kind zu sehen, aber ebensosehr fürchtete er eine Begegnung mit Dolores, und das hielt ihn zurück. Am Sonntag nach der Geburt des Jungen ließ er seinen Vater allein zur Kirche gehen, während er selbst die Straße über die Höhen entlang ritt. Bevor er Judiths Brief erhielt, hatte er keine Ahnung gehabt, daß solche Gefühle ihn überwältigen könnten, aber von dem Tage an dachte er nur noch an seinen Sohn Roger. Das Kind war das einzige, womit sich seine Gedanken beschäftigten.
Er beobachtete die gespenstischen Nebelschwaden, die über den Fluß zogen, und wilder Haß gegen Dolores stieg in ihm auf. Sie hatte ihn belogen und betrogen, sie hatte ihn dazu verführt, ihn zu heiraten, weil sie all das haben wollte, was er ihr geben konnte. Caleb war sparsam und rechtlich denkend. Niemals war es ihm eingefallen, an den abenteuerlichen, romantischen Geschichten zu zweifeln, die sie ihm erzählt hatte. Und jetzt, da mit einem Schlage alles zusammengebrochen war, hatte er das entsetzliche Gefühl, daß sie ihn mißbraucht hatte. Das verletzte seinen Stolz ebensosehr wie sein Gefühl. Sie hatte ihn zum Narren gemacht, so daß alle Leute über ihn sprachen. Die einen bemitleideten ihn, die anderen machten sich über ihn lustig. Caleb hatte es vorher nie erlebt, daß andere ihn bemitleideten oder auslachten. Das war ihm unerträglich. Er hatte das heftige Verlangen, sie ebenso tief zu kränken, wie sie ihn beleidigt hatte. Und es sollte in aller Öffentlichkeit geschehen. Alle sollten es wissen; alle, die seine Demütigung gesehen hatten, sollten jetzt auch Zeugen seiner Rache sein. Sie sollten begreifen, daß Caleb Sheramy nicht mit sich spielen ließ. Er zog scharf am Zügel und ritt nach Ardeith.
Eine Auseinandersetzung mit Philip und Judith wollte er vermeiden. Deshalb war er froh, daß sie um diese Zeit in der Kirche sein würden.
Josh, der vorn auf der Treppe saß, erhob sich sofort. Seine runden Augen wurden groß vor Neugierde, als Caleb näher kam.
Caleb ärgerte sich aufs neue. Offenbar hatten die Schwarzen in ihren Quartieren über ihn gesprochen.
»Wo ist Mrs. Sheramy?« fragte er kurz.
»Sie sein in ihr Zimmer, Massa Caleb.«
»Sag der Amme, daß sie das Kind herausbringen soll.«
»Ja, Massa Caleb.« Josh starrte ihn an, ohne sich zu rühren.
»Willst du wohl machen, daß du ins Haus kommst und tust, was ich dir sage?«
Caleb sprach so heftig und scharf, daß Josh plötzlich fortsprang, als ob er einem Stockhieb ausweichen wollte. Caleb blieb auf derselben Stelle der Veranda stehen.
Gleich darauf erschien ein Negermädchen mit dem Kleinen auf dem Arm. An der Schwelle hielt sie an und knickste, als ob sie sich fürchtete, näher zu kommen.
Caleb ging auf sie zu.
»Gib ihn mir!«
Sie zögerte, dann reichte sie ihm das Kind. Vorsichtig, fast schüchtern, nahm Caleb das kleine, rosarote Bündel, das in ein weißes Tuch gehüllt war. Er staunte, daß der Junge so leicht und so unglaublich klein war. Roger schlief, aber als die Amme ihn dem Vater gab, bewegte er sich und wimmerte leise. Caleb drehte sich sofort um und ging auf die Treppe zu.
»Massa Caleb! Wohin gehen?« rief das Mädchen und eilte
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