Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
die Matratze. Sie warf auch das Kissen zu der Decke auf den Boden.
Über den Dächern der Nachbarhäuser türmten sich Wolken am Himmel auf, und Dolores dachte daran, daß bei Regen das ganze Zimmer von Ameisen wimmeln würde. Die Füße der Bettstelle standen zwar in Blechdosen, aber diese waren trocken. Sie nahm einen der kleinen Silberbecher aus dem Kasten und füllte sie mit Wasser, um die Ameisen abzuhalten.
Schließlich zog sie Schuhe, Kleid und Korsett aus und legte sich nieder. Den Kopf bettete sie auf die gekreuzten Arme. Aber plötzlich fiel ihr ein, daß das Fenster offenstand. Jeder konnte vom Hof hereinklettern und ihre Sachen stehlen, während sie schlief. Aber es war so herrlich, endlich auszuruhen, daß sie alle Willenskraft zusammennehmen mußte, um sich aufzuraffen und die Läden zu schließen. Dann sank sie wieder auf das Bett.
Sie war zu müde, um zu weinen. Undeutlich und in zusammenhanglosen Bildern sah sie das Herrenhaus von Silberwald, die Festtafeln, bei denen es gewürzten Braten und Weine aus Europa gab, während sie selbst am Ehrenplatz des Tisches Caleb gegenübersaß. Sie erinnerte sich an die Gärten von Ardeith, an die Tabak- und Indigofelder, die sie vom Fenster ihres Zimmers aus gesehen hatte. Dort war ihr Kind geboren worden, dort hatte sie es im Arm gehalten. Aber diese Bilder tauchten nur verschwommen auf wie frohe Zeiten, die sie in ihrer Kindheit erlebt hatte. Sie waren zu fern und riefen nur ein unbestimmtes Empfinden von Sehnsucht und Heimweh hervor. Wie wenig hatten sie doch alle diese Menschen verstanden! Diese Zeit wurde dadurch zum Triumph eines Zerrbildes, das sie höhnisch angrinste, während es doch ein märchenhaftes Zwischenspiel hätte sein können, das ihr ein gütiger Gott schenkte. Aber sie konnte sich jetzt nicht zu einer heftigen Gemütserregung aufraffen, um diese Menschen zu hassen. Sie war so müde, daß sie kaum die einzelnen Gefühle voneinander unterscheiden konnte; sie hatte nur noch die Vorstellung, daß sie ein Bündel schmerzender Knochen war. Aber sie war zu erschöpft, um selbst das lange zu fühlen. Nach wenigen Minuten schon schlief sie fest ein.
Als sie wieder aufwachte, war es nahezu dunkel. Sie atmete tief auf und drehte sich um, so daß sie auf dem Rücken lag. Kurze Zeit regte sie sich nicht, betrachtete den Riß in der Wand und überlegte, was wohl aus ihr werden würde. Zweifellos konnte sie nach Neuorleans zurückkehren, aber was sollte sie dort anfangen? Tante Juanita würde sie vielleicht wieder in der Kneipe beschäftigen, und dort war es jedenfalls besser als hier. Aber es war auch möglich, daß sie böse auf sie war und sie nicht bei sich aufnahm. Wahrscheinlich würde sie sagen, es wäre undankbar und häßlich von ihr gewesen, daß sie fortgelaufen war.
Dolores dachte daran, daß sie auf den Docks Früchte verkaufen könnte, aber jeder, der nur ein wenig Verstand besaß, konnte voraussagen, wozu das führte, wenn man nicht eine häßliche alte Frau war, der die Matrosen aus Mitleid etwas abnahmen. Sie konnte ja auch in den Strom springen, sie mußte nur so weit hinuntergehen, daß nicht gutmütige Menschen sich die Mühe machten, sie wieder aus dem Wasser zu fischen. Ebensogut mochte sie tot sein als ein Kind haben, das sie nicht einmal sehen durfte. Welchen Zweck hatte es, unter diesen hartherzigen, grausamen Menschen weiterzuleben, die sie seit ihrer frühesten Kindheit nur gequält hatten?
Ach, sie hatte versucht, alles so gut zu machen wie nur möglich, sagte sie sich bitter, sie wollte eine anständige Frau sein, aber alles, was sie anfaßte, ging verkehrt aus und brachte ihr nur Unglück. Ob das ihr Fehler oder die Schuld anderer war, konnte sie nicht entscheiden. Sie fühlte sich zu elend dazu.
Inzwischen brach die Abenddämmerung herein, und Dolores konnte nicht in dem Zimmer bleiben, ohne daß sie ein Licht hatte. Fröstelnd erhob sie sich. Es würde wohl bald regnen. Es war noch etwas Wasser in dem Eimer. Sie trank wieder, dann wusch sie sich, so gut es ohne Seife ging. Zum Abtrocknen nahm sie eins ihrer Hemden aus dem Kasten. Das kühle Wasser erfrischte ihr Gesicht und ihre Arme. Dann zog sie die Strümpfe aus und stellte die Füße in den Eimer. Sie schmerzten furchtbar von dem Umherwandern auf den Straßen in der vergangenen Nacht und auf dem sonnendurchglühten Kai am Morgen. Aber als sie schließlich saubere Strümpfe und andere Schuhe angezogen, sich angekleidet und frisiert hatte, fühlte sie sich beinahe
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