Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
jungen Kreolen klangen allmählich schal und farblos, während ihre Sehnsucht nach Philip immer stärker wurde. Eines Tages sagte sie zu Gervaise, daß sie wieder nach Hause fahren wollte.
Gervaise gab halb zögernd zu, daß es Zeit sei, an die Heimkehr zu denken. Es war auch leichter, jetzt den Fluß hinaufzufahren als später, wenn der Schnee im Norden des Landes schmelzen und der Strom ansteigen würde. In zwei bis drei Wochen wollte Michel Durand wieder eine Fracht Sklaven nach Dalroy bringen, dann konnten sie ja mit ihm fahren.
Judith schrieb einen glücklichen Brief an Philip, daß sie nach Hause käme, und gab ihn dem Kapitän eines Handelsschiffes mit.
Als sie zurückkehrte, war der Februar mit all seiner Herrlichkeit gekommen. Die Luft war weich und zart wie Samt, das Leben fröhlich und sprudelnd wie Champagner. Judith glaubte, sie hätte vorher noch nie gewußt, wie schön Ardeith war und wie sehr sie es liebte.
Sie sagte Philip, wie er damals ein Glas auf den Tag ihrer Vereinigung mit Neuorleans getrunken hätte, so möchte sie jetzt auf den Tag ihrer Rückkehr ihr Glas erheben.
11
A ‹ für Ardeith und ›B‹ für Baby. Diese beiden Buchstaben konnte der Kleine schreiben.
»Sehr schön«, sagte Judith. »Jetzt will ich dir den nächsten beibringen. So sieht ein C aus.«
David spitzte den Mund, griff mit seinen kleinen, dicken Fingern nach der Feder, malte ein C und machte einen Klecks. »Ist es so richtig, Mutter?«
»Ja. Aber nun versuche es noch einmal ohne Klecks.«
»C«, sagte David. »Aber woran soll ich mir C merken?«
Judith überlegte. »C für Caleb – Onkel Caleb.«
»Ach ja! Was kommt dann?«
»Der nächste Buchstabe ist D. Den merkst du dir an David. Aber damit wollen wir warten, bist du gelernt hast, ein C zu schreiben. Also, nun eine Seite voll A, B und C, schön und deutlich.«
David beugte den blonden Lockenkopf über seine Arbeit. Er schrieb eifrig und schob die Zungenspitze dabei zwischen die Lippen.
Judith dachte an den Rest des Alphabets. Die alte Mrs. Cheesewright hatte es ihr und einem Dutzend anderer kleiner Mädchen vor Jahren beigebracht. Sie saßen damals alle auf einer langen Bank, die zu hoch für sie war, so daß sie mit den Beinen nicht auf die Erde reichten. Die Bank stand vor einem Kaminfeuer, und ihre Gesichter glühten, aber es zog durch die Tür, und am Rücken froren sie. E für Ellbogen. Das würde David selbstverständlich verstehen. F für Feuer, G für Garten. Aber Grashüpfer würde ihm vielleicht besser gefallen. H für Haus. I für Indigo.
Sie legte den Arm um den Jungen. Seine goldblonden Locken berührten ihre Wange, und sie drückte leise die Lippen darauf.
»Du mußt mich aber gehen lassen, sonst mache ich wieder einen Klecks«, wehrte David ab.
»Du schreibst sehr schön. Wenn du damit fertig bist, kannst du draußen spielen.«
David arbeitete so fleißig, daß er schwer atmete. »A für Ardeith«, sagte er leise vor sich hin. »B für Baby. C für Caleb.«
Sein kleiner Körper fühlte sich so zart und weich an. Seltsam zu wissen, daß er später einmal auch hart und stark werden würde, viel stärker als der ihre, so daß er sie aufheben und davontragen konnte, wie Philip sie einst aufgehoben und davongetragen hatte, als sie mit ihm von Lynhaven fortlief.
»Ach, sieh her! Jetzt hast du mich so gedrückt, daß ich doch einen Klecks gemacht habe!« rief David und zeigte auf den Tintenfleck, der von seiner Feder getropft war. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen!«
»Es tut mir leid, mein lieber Junge. Ich weiß, es war nicht deine Schuld.« Sie zog ihn näher an sich. »Ach, David, du bist so klein.«
»Ich bin nicht so klein. Ich bin größer als Chris, und ich reiche dir schon bis an den Gürtel. Ach, Mutter, höre doch auf! Ich möchte nicht immer geküßt werden!«
Er machte sich aus ihren Armen frei und stand nun mit gespreizten Beinen trotzig vor ihr.
»Muß ich nun noch mehr schreiben? Ich war mit der ersten Seite gerade fertig.«
»Du kannst aufhören, mein Junge. Morgen lernen wir den nächsten Buchstaben.«
»Gut.« David ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Judith ließ die Seite trocknen und nahm sie dann in ihr Zimmer mit.
Vor dem Spiegel blieb sie stehen und betrachtete sich. Es war derselbe, den Philip vor Davids Geburt ins Blockbaus gebracht hatte. Judith lächelte trübe, als sie daran dachte, wie sie damals bei dem Anblick ihrer Gestalt geweint hatte, und überlegte, ob sie in
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