Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
seinen Schreibtisch abstaubte. »Guten Morgen!« grüßte er munter und ließ seinen Hut durch die Luft auf den Haken segeln. Der Hut verfehlte sein Ziel und endete in der Zimmerecke; Corrie May hob ihn auf, bürstete ihn sauber und hängte ihn an seinen Platz.
»Schöner Tag heute!« meinte er und setzte sich.
»Ein wenig kühl!« erwiderte sie, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.
»Viel zu tun, wie?« bemerkte Mr. Gilday.
»Sehr viel!« gab sie trocken zur Antwort.
»Ach Unsinn! Was brauchst du so zu hetzen!«
Sie warf ihm einen Seitenblick zu; was für gute Anzüge er jetzt ständig trug, aus bestem Tuch! Besseres hatten auch die Herren nicht getragen, die auf Ardeith zu Besuch erschienen. Mr. Gilday hatte ein Päckchen aus der Tasche zum Vorschein gebracht und knüpfte die Schnur auf. »Sieh mal her, Corrie May! Wie gefällt dir das?«
Es war ein wunderschönes Schultertuch, das er auf dem Tische ausbreitete, aus feiner, leichter Wolle mit großen roten und braunen Blumen dareingewebt, und die Kanten mit seidenen Fransen eingefaßt.
»Oh –!« rief sie aus und trat an den Tisch, um das edle Gewebe mit den Fingern zu prüfen. »Das ist ja entzückend!«
Über das Tuch hinweg lächelte Mr. Gilday ihr zu: »Gefällt es dir also?«
»Es ist einfach herrlich!« erwiderte Corrie May ernsthaft. »Ein Geschenk für eine Dame?«
Gilday nickte: »Für dich, Corrie May!«
Sie zuckte zusammen. »Für mich?« Sie ließ das Tuch aus ihren Händen wieder auf den Tisch gleiten. Mr. Gilday lehnte sich zurück.
Corrie May griff nach ihrem Staubtuch. »Besten Dank, nein, Mr. Gilday!«
Er streckte seine Hand über den Tisch und streichelte ihren Arm. »Ach, hab dich nicht so! Leg's dir doch einmal um die Schultern! Versuch's doch!«
»Nein, ich danke!« wiederholte Corrie May. Sie wandte sich zur Tür. »Ich brauche es wirklich nicht, Mr. Gilday!«
Ehe er antworten konnte, hatte sie schon die Tür hinter sich geschlossen. Sie lief zum hinteren Portal des Gebäudes, hielt ihr Staubtuch immer noch in der Hand und blickte sich suchend um. Da war er: Jed gab gerade einer Anzahl von Negern Bescheid, die einen der Regierungsagenten sprechen wollten. Ach, Jeds sauberes, anständiges Gesicht –! Als er sie erblickte und ihr zulächelte – ihr war, als hätte jemand im Dunkeln eine Lampe angesteckt.
»Warum läufst du so?« wollte er wissen. »Bist ja ganz rot im Gesicht. Steht dir aber gut!«
Die Neger drängten sich in den Gang hinein. Corrie May blieb vor der Tür stehen. Sie hatte noch mehr als ein Zimmer zu reinigen; aber sie mußte mit Jed wenigstens ein paar Worte sprechen; sie sehnte sich danach, den freundlichen Respekt zu spüren, mit dem er ihr entgegentrat. Was kam es schon darauf an, wenn ihre Arbeit ein Weilchen liegenblieb. Gilday würde ihr jetzt ohnehin die Stellung kündigen –!
»Meine Mutter hat mir geschrieben«, begann Jed. »Sie haben große Kälte zu Hause. Und es schneit Tag für Tag.«
»Was du sagst!« erwiderte Corrie May. »Noch nie in meinem Leben habe ich Schnee gesehen.«
»Wenn alles verschneit ist, das sieht wirklich schön aus! Überall der weiße, weiche Schnee! Es friert dann. Und man kann Schlitten fahren!«
»Was ist ein Schlitten?« fragte Corrie May.
»Ein Schlitten? Etwas Ähnliches wie ein Wagen, nur daß er Kufen statt der Räder hat und Glocken dazu. Eine feine Sache! Du wirst Spaß daran haben.«
Sie lehnte sich an die Wand. »Es klingt so hübsch, was du erzählst. Mir würde wohl alles gefallen, was es da im Norden gibt. Hast du keine Sehnsucht danach?«
Er lächelte und seufzte in einem. »Die hab' ich schon. Drei Jahre bin ich jetzt von zu Hause fort.«
»Dann bist du also nicht vom Anfang des Krieges an dabeigewesen?«
Er schüttelte sein Haupt. »Nein! Wenn du die Wahrheit wissen willst – ich konnte nicht recht einsehen, was ich eigentlich mit der ganzen Kriegsgeschichte zu tun haben sollte. Was hier im Süden passierte und wie es hier aussah, das wußte ich nicht; und außerdem hatte ich für meine Mutter zu sorgen.« Ein halb verlegenes Grinsen verzerrte sein Gesicht. »Na und dann, du weißt ja, wie es zugeht, dann wurde ich eben eingezogen.«
»Ach, wurden auch im Norden die Männer eingezogen?« Corrie May mochte es fast nicht glauben. Für ein so wunderbares Ideal hatten doch die Männer aus dem Norden kämpfen können, für die Freiheit versklavter Neger und für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im ganzen Lande; dafür brauchte man die
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