Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
Für alle Zeit blieb er der stolze Offizier, den sein Bildnis darstellte, kühn, stark und umstrahlt von Ruhm. Sie selbst, verbraucht im Zusammenbruch des Vergangenen, fühlte sich nicht mehr fähig, ihrem Sohn noch viel zu bedeuten.
Doch wenn sie ihm ständig die unwandelbare Tradition der stolzen Larne-Familie vorhielt, dann sollte es ihr nicht schwerfallen, den Sohn nach dem Vorbild des Vaters zu formen.
Sobald sie es ehestens bezahlen konnte, bestellte Ann ein granitenes Totenmal und ließ es auf dem Friedhof neben den Gedenksteinen für die Vorfahren ihres Mannes aufrichten. Denis' Name und der Tag seiner Geburt waren auf dem Totenmal eingegraben, dazu die Zeile:
›Gefallen bei der Belagerung von Vicksburg,
und auf dem Schlachtfeld begraben im Jahre 1863‹.
Jeden Sonntag, wenn sie zur Kirche fuhren, brachten sie frische Blumen mit, und Denis ordnete sie am Fuß der granitenen Säule zu bunten, duftenden Rabatten. Es wäre rührend, mit anzusehen, wie Denis seinen Vater verehrte, an den er sich doch gar nicht erinnern könnte – das sagten die Freunde der Familie immer wieder. Und was für ein hübscher Junge er war, und stets vergnügt, wohlgelaunt und klug! Sicherlich war er seiner verwitweten Mutter ein großer Trost. Ann sagte: »In der Tat, beinahe füllte er schon den Platz seines Vaters aus!« und betrachtete ihn voller Stolz. Auch Cynthia bewunderte Denis; allerdings aus anderen Gründen: sein Geschick, auf allem zu reiten, was vier Beine hatte, machte ihr wesentlich größeren Eindruck als die guten Manieren, die Ann ihm beibrachte.
Zweimal in der Woche fuhr Denis nach Silberwald, wo ein Lehrer, den Ann und Jerry gemeinsam angestellt hatten, ihn und seine Vettern in die Anfangsgeheimnisse der Wissenschaft einweihte. Im übrigen erhielt er seinen Unterricht daheim von der Mutter. Ann liebte es sehr, ihn zu unterrichten und seine übrigen Studien zu beaufsichtigen; sie hätte gern seine ganze Ausbildung übernommen; aber er sollte auch Latein und Fechten lernen – zwei Gegenstände, die ihre eigene Erziehung nicht berücksichtigt hatte. Denis liebte es sehr, sich von seiner Mutter belehren zu lassen. Er war schon ein großer Junge und brachte ihr immer noch sein Geschichtenbuch mit der Bitte: »Lies mir vor, Mutter!« Hingerissen saß er dann da, die Arme um die Knie geschlungen, und wärmte sich an dem Klang ihrer Stimme.
Cynthia beobachtete solche Szenen mit Ungeduld. »Er liest längst genauso gut wie du!« rief sie Ann mehr als einmal zu. »Warum läßt du ihn seine Geschichten nicht selber lesen!«
Ann nahm solche Bemerkungen übel auf. Denis war alles, was ihr geblieben war; sie sah ihr gutes Recht darin, sich jeden Tag von neuem an ihm zu freuen. Keiner Menschenseele hatte sie je bekannt, daß sie von ihrer Ehe mit dem älteren Denis enttäuscht war; nur ihrer Schwiegermutter hatte sie es gesagt: damals allein – kurz vor dem Tode der harten Frau – war die Wahrheit ans Licht getreten. Doch im geheimen hatte sie längst aufgegeben, sich angenehm zu täuschen. Glanzvoll und heiter, ja, so war ihre Ehe mit Denis Larne verlaufen; aber die Gemeinsamkeit und Kameradschaft, die sie ersehnt hatte, die war ihr vorenthalten worden – vielleicht nur deshalb, weil sie ihrer erst wirklich bedurfte, als der Krieg die glatten Tage sorglosen Daseins schon aufs Spiel gesetzt, ach, schon zerstört hatte. Jetzt aber wußte sie, was sie wollte, und dieser zweite Denis sollte sie nicht enttäuschen!
Was Cynthia anbetraf: in allen praktischen Fragen war sie Ann eine große Hilfe. Sie hatte freiwillig den ganzen Haushalt übernommen, so daß Ann ihre Kraft uneingeschränkt der Aufgabe widmen konnte, die Plantage wieder in Gang zu bringen. Wenn Cynthia aber von dem kleinen Denis sprach, so wurde offenbar, daß sie ihn mit ganz anderen Gefühlen betrachtete, als Ann es tat.
Allmählich erreichte Denis ein Alter, in dem er fähig wurde, Soll und Haben der Plantage zu begreifen; inzwischen war das Leben auf Ardeith schon wesentlich leichter geworden. Im politischen Leben ging zwar immer noch alles drunter und drüber, und die Steuern blieben hoch. Doch welche Schikanen man immer auch anwendete, sie änderten nichts daran, daß die Welt nach dem Zucker, dem Reis und der Baumwolle verlangte, die auf den Feldern am Strome unverändert üppig heranreiften. Manchmal erzählte Ann ihrem Sohne, welchen Kampf es sie gekostet hatte, ihm die Plantage zu erhalten. »Ich glaubte, ich wüßte, wie man Baumwolle und
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