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Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Titel: Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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Corrie May.
    Fred blickte an ihr vorbei und lächelte ein heimlich entschlossenes Lächeln. Zum ersten Male merkte Corrie May, daß er seinem Vater Gilday ähnlich sah. Fred war zu einem untersetzten kleinen Jungen mit rundlichem Gesicht herangewachsen. Corrie May nahm das versteckte freudlose Lächeln um seinen Mund wahr; sie meinte, Gilday vor sich zu sehen, und hörte ihn sagen: »Ich will was werden in dieser Welt, Corrie May!« Sie begriff mit einem Male, daß auch Fred nicht aufzuhalten war, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.
    Nach einer Weile fing er wieder an; doch blickte er ihr noch immer nicht in die Augen. »Du sollst nicht mehr am Waschfaß stehen den ganzen Tag und fremder Leute Kleider waschen. Ich gehe zum Hafen und beschaffe mir Arbeit.«
    Er hatte seine Hände in die Taschen gesteckt, und sie sah, daß er sie zu Fäusten darin ballte; die Hosen buchteten sich an den Oberschenkeln deutlich aus. Seine ganze Haltung war ihr plötzlich so vertraut, daß sie ihm trotz ihrer bedingungslosen Ehrfurcht vor der Schule nicht weiter zu widersprechen wagte.
    Am Tage darauf machte sich Fred auf, sich am Hafen für Botengänge und andere Gelegenheitsarbeiten anzubieten.

Vierzehntes Kapitel
I
    I m Frühling nach dem achten Geburtstag des kleinen Denis ließ Ann die Familienbilder vom Boden herunterholen und wieder an ihre alten Plätze hängen. Dann nahm sie Denis bei der Hand und zeigte ihm das Bildnis seines Vaters. »Er war ein großer Mann, Denis«, sagte sie. »Einer der tapfersten Edelleute, die je gelebt haben! Du mußt ihm gleich werden, wenn du groß wirst.«
    Denis nickte sehr ernsthaft. Er blickte zu dem Bildnis hoch, als wäre es ein Heiligenschein, der die hohen Ziele seines Geschlechtes für alle Zeit bewahrte und verkörperte. Nach einem Weilchen glitten seine Augen zu dem anderen Bildnis nebenbei. »Wer ist denn diese Dame in dem schönen blauen Kleid?« erkundigte er sich.
    Ann wandte sich ihm erschrocken zu: »Lieber Junge, das bin doch ich!«
    Seine Augen öffneten sich vor Erstaunen weit. »Du?« fragte er. Er war noch viel zu kindlich, als daß er sich bemüht hätte, die Höflichkeit zu wahren.
    Sie ließ seine Hand fallen. »Ja, Lieber, im Jahre einundsechzig habe ich so ausgesehen.«
    Ohne ein weiteres Wort ließ sie ihn stehen und schloß sich in ihres verstorbenen Gatten altes Kontor ein, wo sie die längst nicht mehr ordentlichen Kontobücher der Pflanzung aufbewahrte; sie ließ sich in den Lehnstuhl hinter Denis' altem Schreibtisch fallen. Und so in aller Heimlichkeit des stillen Kontors befühlte sie zum erstenmal ihr Gesicht mit den Händen, als kennte sie es gar nicht mehr, fühlte die Falten, wo früher Grübchen gesessen hatten, fühlte die kleinen trockenen Hautröllchen, die unter ihren Augen nisteten. Achtzehnhunderteinundsechzig, und heute schrieb man erst achtzehnhundertneunundsechzig. Im August würde sie dreißig Jahre alt werden.
    Am Nachmittag des gleichen Tages befahl sie anzuspannen und ließ sich von Napoleon nach Silberwald hinüberfahren. Sie bat Jerry um eine Unterredung unter vier Augen und händigte ihm den Schlüssel aus, der die Tür zum Weinkeller von Ardeith öffnete. Sie sagte: »Behalt ihn, Jerry, und gib ihn mir unter keinen Umständen zurück! Was ich auch anstellen mag, gib ihn mir nicht wieder, selbst dann nicht, wenn ich dir sage, ich brauche nur etwas Sherry, um einen Pudding zu würzen, oder wenn ich dir sage, ich hätte einen Herzanfall und brauchte einen Kognak – « Sie lachte bitter. »Ich kann mir schon die schönsten Vorwände ausdenken, nicht wahr, den Schlüssel zurückzufordern?«
    Jerry antwortete ruhig: »Ich verstehe. Du wirst den Schlüssel nicht bekommen.«
    Mehr sagte er nicht. Wie klug er war und zugleich milde; er hielt ihr keinen belehrenden Vortrag, ja, er ließ nicht einmal verlauten, daß er ihrem Entschluß zustimmte. Doch plötzlich beugte er sich vor und küßte ihre Stirn. Solange sie sich erinnern konnte, war dies das erste Mal, daß er sie geküßt hatte. Als sie nach Ardeith zurückfuhr, spürte Ann ein Gefühl der Erleichterung und des Sieges. Sie dachte an Denis, ihren Mann: ob er es wohl ausgehalten hätte, unter Ruinen zu leben. Sie erinnerte sich des bitteren, vom Skorbut gezeichneten Gesichtes ihres Bruders Jerry und war froh, daß es ihr erspart geblieben war, ihren Gatten in eine zerstörte Welt heimkehren zu sehen. So war ihr Denis als ein Bild ewiger männlicher Jugend in der Seele haftengeblieben.

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