Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
fest.
»Denis, mein Respekt vor deiner Mutter steigt mit jedem Tag«, sagte sie zögernd. »Was für ein Meisterstück sie aus dir gemacht hat!«
»Aus mir? Wie meinst du das, Tante Cynthia?«
Cynthia lachte kurz auf: »Mein Junge, du verfügst über alle die Kennzeichen des wohlerzogenen Edelmannes.« Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück; der Nähbeutel ruhte ihr noch immer ungeöffnet im Schoß. »Die siebente Tochter einer siebenten Tochter bin ich nicht, Denis, aber die Zukunft höchst zuverlässig weissagen kann ich dir trotzdem.«
Denis stand schräg vor ihr und hörte höflich zu. Er war ein wenig verwirrt und beunruhigt wie stets, wenn Tante Cynthia ihre schillernden Bemerkungen ins Blaue schoß. Cynthia fuhr fort:
»Du wirst lateinische Dichter lesen und daraus zitieren, vor allem aus den Werken Catulls. Du wirst den poetischen Byron verehren. Du wirst die Damen so zart behandeln, als schwebten sie ständig in Gefahr, in der Mitte auseinanderzubrechen. Und du wirst natürlich die Armee Nord-Virginiens für die großartigste Versammlung tapferer Helden halten, die Gott der Allmächtige jemals auf dieser Erde auftreten ließ.«
»Ich habe das Heer Virginiens nicht mehr erlebt«, meinte Denis sehnsüchtig, halb nachdenklich.
»Mein liebes Kind, kommt es etwa darauf an? Damit beweist du dich ja gerade als einer deiner Rasse, Denis: du hast gelernt, von Legenden zu leben, die dir im Grunde nebelhaft bleiben.«
Denis vernahm von der Tür her ein Geräusch. Seine Mutter stand plötzlich im Zimmer und betrachtete ihn und seine Tante mit Erstaunen und Mißbilligung. »Cynthia«, rief sie aus, »was erzählst du dem Kind schon wieder.« Cynthia öffnete ihren Nähbeutel und fädelte eine Nadel ein, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der ganzen Welt.
Ann sagte: »Ich habe im Studierzimmer Feuer im Kamin anzünden lassen, Denis. Beende deine Aufgaben dort.«
Denis gehorchte. Ann zog die Tür des Wohnzimmers hinter ihm zu.
»Cynthia, ich habe dich schon vielfach gebeten, Denis nicht den Kopf zu verdrehen. Er versteht nur die Hälfte von dem, was du sagst, und das ist dümmer, als wenn er gar nichts versteht.«
Cynthia faltete ihre Näherei auseinander. Sie fing an, die Kante eines Kleiderkragens mit schmaler Borte einzufassen. Sie hob die Augen nicht von ihrer Stichelei und antwortete: »Es tut mir leid, wenn ich dich gekränkt habe, Ann. Jede Kränkung lag mir wirklich fern. Du bist stolz auf Denis, nicht wahr?«
»Ja!« sagte Ann. Sie stand am Fenster und blickte zwischen den Vorhängen die hohe Eichenallee hinunter, die auf das eiserne Gittertor in der Ferne hinwies. Das Tor stand wieder offen. Man schrieb den Monat Dezember. Die Luft ging kalt und schwer. Regen kündigte sich an.
»Ich weiß es«, sagte Cynthia. »Ich werde ihn nicht mehr auslachen.« Ohne aufzusehen, fügte sie nach einem Weilchen hinzu: »Vielleicht nur – Ann, vielleicht nur, weil ich ein altes Mädchen bin und nichts weiter zu tun habe als herumzusitzen und andere Leute zu beobachten, vielleicht kann ich deshalb ihr Benehmen besser verstehen, als sie selbst es können.«
Ann lachte freundlich: »Rede keinen Unsinn, Cynthia! Ein altes Mädchen –? Du bist ja erst dreiundzwanzig Jahre alt.«
»Rede du keinen Unsinn, Ann!« erwiderte Cynthia bitter. »Ich habe noch keinen einzigen Walzer in meinem Leben getanzt; kein Mann hat mich je geküßt. Von meiner Sorte gibt es Tausende, hier im Süden und oben im Norden, das weißt auch du. Die Männer, die uns heiraten sollten, liegen bei Shiloh, bei Corinth, bei Gettysburg begraben. Wir blieben sitzen, unverbrauchte Restbestände des Krieges. Nicht viele von uns werden es zugeben, aber glaube nicht, daß wir uns nicht darüber im klaren sind.« Ann blickte zu den Bäumen hinaus, die still und grau im Grauen standen. Schließlich fragte sie mit leiser Stimme: »Meinst du, ihr wärt die einzigen Überbleibsel des Krieges?«
Sie schwiegen beide lange nach dieser Frage. Cynthia setzte sorgsam Stich an Stich. Dann erwiderte sie: »Dich wird man wenigstens nicht vergessen; du bist selbst auf dem besten Wege, zur Legende zu werden.«
»Was soll das heißen?«
»Magnolienblüten mit Rippen aus Stahl. Und mein Bruder, dein Gatte, als Verkörperung einer großen Tradition! Dabei weißt du genausogut wie ich, daß er nichts weiter war als ein netter junger Mann.« Sie lachte kurz auf, als sie Anns entrüstete Miene wahrnahm. Ann hatte sich scharf auf dem Absatz umgewandt.
»Unsinn, Cynthia!
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