Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
Halle, weit und breit wie die untere, öffnete sich nach vorn in einer hohen Glastür auf einen kleinen, weißen Balkon. An den Seitenwänden reihten sich einige Türen nebeneinander; Corrie May unterdrückte einen bewundernden Seufzer: auch sie besaßen silberne Angeln und Klinken. Das farbige Mädchen klopfte an eine der Türen. »Ja!« rief Anns Stimme.
»Hier ist das weiße Mädchen, das Sie sprechen möchte, Mrs. Larne!« sagte die Dienerin und ließ Corrie May ins Zimmer treten. Als sie über die Schwelle schritt, stiegen ihr die Brauen hoch vor Erstaunen. Sie hatte das Wohnzimmer einer Dame betreten, einen hohen, warmen und unbeschreiblich behaglichen Raum; Kupferstiche hingen an den elfenbeinfarbenen Wänden; die gepolsterten Stühle und Sessel waren mit Damast bezogen, der die Farbe dicker Sahne zeigte. Auf einem Sofa unweit des Feuers lehnte Ann gegen einen Berg von Kissen. Ihr Haar war offen; sie trug einen weißseidenen Morgenrock mit weiten Faltenärmeln und keine Strümpfe; ihre Füße blickten zur Hälfte aus zierlichen weißen Pantoffeln, die mit Pelz besetzt waren. Als Corrie May eintrat, ließ sie das Modemagazin sinken, in dem sie gelesen hatte.
»Ah, guten Morgen, Corrie May!« sagte sie und entließ das farbige Mädchen mit den Worten: »Das ist alles, Bertha!« Ann richtete von neuem ihre Augen auf Corrie May und fragte: »Was führt dich her?«
Corrie May hatte die Absicht gehabt, mit einer Entschuldigung zu beginnen; etwa mit den Worten: »Hoffentlich bin ich nicht aufdringlich, Madame – – «; sie hatte die ganze Ansprache während der Wagenfahrt geübt. Nun vergaß sie alles; der Anblick, den Ann ihr bot, brachte sie aus der Fassung; wie warm und träge Ann dalag, so ohne alle Sorgen und Pflichten; sie war noch nicht einmal angekleidet, obwohl die Mittagszeit schon vergangen sein mußte. Der Ärger verzehrte Corrie Mays Schüchternheit; sie stieß wenig freundlich hervor: »Entschuldigen Sie, Mrs. Larne, daß ich schon so früh am Morgen komme.«
»So früh?« fragte Ann verwundert; dann mochte ihr bewußt werden, wie unvollkommen sie bekleidet war. »Oh –!« sagte sie mit einem kleinen Lächeln. »Ich habe die vergangene Nacht auf einem Kostümfest vertanzt und bin gerade erst aufgestanden. Deshalb bin ich noch nicht angezogen.«
Corrie May entdeckte jetzt, daß auf einem kleinen Tischchen neben dem Sofa Anns Frühstück stand; aus der silbernen Kaffeekanne stieg noch Dampf. Gerade erst aufgestanden – um diese Tageszeit! Ann fragte:
»Ich hoffe, es geht dir gut?«
Corrie May krampfte ihre Hände ineinander; es fiel ihr schwer, sich zu beherrschen. Am liebsten hätte sie Anns weichen Leib aus den Kissen gezerrt, hätte die träge junge Dame grün und blau geprügelt und sie dann fortgeschleppt, um sie einmal mit der Nase draufzustoßen, wie die allermeisten Leute in der Stadt Dalroy lebten, der reichsten am Fluß, der Stadt der Paläste. Sie schluckte – – aber statt der sanften, ehrerbietigen Antwort, die sie eigentlich zu geben vorhatte, sagte sie:
»Mir ist es schrecklich ergangen. Ich meine, krank bin ich nicht gewesen. Aber seit meine Brüder umgekommen sind beim Zypressenroden für Ihren Mann, gibt es in unserer Familie keinen mehr, der Geld verdient.«
»Ach – «, seufzte Ann. Sie ließ das Magazin zu Boden gleiten und richtete sich auf den Ellbogen hoch. »Das tut mir wirklich sehr leid. Würdest du bitte den Klingelzug rühren – «
Sie verkörperte vollkommen jene liebreiche Leutseligkeit, mit welcher die Dame nach ihrem Geldtäschchen greift –. Corrie trat einen Schritt näher und griff nach der Kante des Tisches, auf dem die silberne Kaffeekanne stand. »Nein!« rief sie. »Ich bitte nicht um Almosen.«
Ann geriet aus der Fassung: »Ja, was denn sonst?«
»Ich suche Arbeit«, beteuerte Corrie May heftig. »Bitte, Madame, geben Sie mir etwas zu tun. Ich weiß, Sie haben einen Haufen Neger. Aber ich will arbeiten. Ich muß für meine Mutter sorgen und auch für mich selbst. Bestimmt, ich verstehe mich auf vielerlei. Ich kann flicken und stopfen, Ihre Kleider und Handschuhe –.«
»Aber ich brauche nie …«, wollte Ann einwerfen; doch Corrie May war nicht aufzuhalten: »Ich könnte eine Wette drauf eingehen: keiner Ihrer Neger versteht, Kleider so hübsch auszubessern wie ich. Und wenn ich das übernehme, dann können die Schwarzen inzwischen zu was anderem angestellt werden. Ich kann nähen mit allerwinzigsten kleinen Stichelchen, Miß Ann. Und
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