Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
der offenen Tür ihres Zimmers gestanden und die Stimmen gehört. Als Denis und Ann die letzten Stufen nahmen, trat sie hastig zurück; die beiden blickten nicht zu ihr hinüber; sie aber konnte sie beobachten. Denis öffnete die Tür zum großen ehelichen Schlafzimmer. Er nahm die Karaffe auf, die gleich neben der Tür auf einem kleinen Tischchen wartete: »Einen Schlaftrunk, liebes Herz?«
»Ja, danke!« sagte Ann.
Er lehnte sich über die Karaffe und küßte sie. Im Hintergrund des Zimmers brannten in silbernen Armleuchtern die Kerzen. Auf dem weißen Marmorsims des Kamins ruhten zwei Schalen mit Rosen.
Die mächtigen Schränke standen bereit, Anns zahlreiche Kleider aufzunehmen.
Frances hatte sie mit ihrer so viel bescheideneren, sparsameren Garderobe räumen müssen.
Und das große Ehebett mit dem mächtigen Himmel, den vier Pfosten trugen, und den karminroten Vorhängen –! Man hatte es in Stücke zerlegt den Fluß heraufschaffen müssen, so gewaltig und schwer war es gebaut. Sie blickte die Halle hinunter, wo die Treppe sich umschwang. Denis' Großvater hatte sie errichtet – als Wahrzeichen eines großen Geschlechts.
Frances fühlte einen hilflosen Zorn in sich aufsteigen, der schmerzhaft brannte. Drüben schwang die Tür ins Schloß. Der Schlüssel knirschte leise. Frances trat in ihr Zimmer zurück und riegelte sich ein, als wäre sie bedroht.
Viertes Kapitel
I
S elbst eine so ungeheure Summe wie hundert Dollar reicht nicht ewig. Obgleich Corrie May jeden Cent dreimal umdrehte, bevor sie ihn ausgab, löste sich ihr Reichtum langsam, aber sicher in Wohlgefallen auf, bevor sich noch der Winter seinem Ende näherte. Papa hielt ganze Serien von schönen Reden, aber mit der Arbeit hatte er nach wie vor nicht viel im Sinn. Jetzt war er mit einigen anderen Predigern auf einem Wohnboot unterwegs und rettete Seelen stromauf und stromab. Jedermann sprach davon, was für ein wundervoller Prediger er wäre; wer ihm zuhörte, der fühlte das höllische Feuer unter den Sohlen brennen, hörte über seinem Scheitel die Engel im Himmel singen; aber das zauberte keine einzige Bohne in den Kochtopf daheim und erst recht kein Stückchen Fleisch.
Tag für Tag wanderte Corrie May am Hafen entlang und zerbrach sich den Kopf. Budge war böse auf sie, und ihre Eltern waren es nicht minder; warum mußte sie ihn auch so unfreundlich behandeln! Er hatte nun auf dem Pachtacker seine Wohnstatt aufgeschlagen. Ab und zu war sie versucht zu glauben, daß sie alle Widerwärtigkeiten vermieden hätte, wäre sie seine Frau geworden – aber zugleich spürte sie in einem anderen Winkel ihres Herzens, daß auch die Heirat ihr nichts genutzt hätte. Sie wäre damit endgültig der gleichen Hoffnungslosigkeit verkettet worden, in die sie hineingeboren war; noch hatte sie sich die Freiheit gewahrt, ihr zu entrinnen. Wo aber war die Brücke, über die sie von der immer höher und gefährlicher umfluteten Insel ihres kleinen Daseins auf sicheren Grund entfliehen konnte?
Es gab manch besseres Los – das wußte sie –, als es ihr vom Schicksal gewährt war, so zum Beispiel das jener wenigen bevorzugten Leute wie Ann Sheramy und Denis Larne. Corrie May hatte am Hafen gestanden, als die beiden zu ihrer Hochzeitsreise das Schiff bestiegen. Als sie am Abend darauf das kärgliche Nachtmahl bereitete, versuchte sie, sich das Leben vorzustellen, dem das junge glückliche Paar entgegenging. Aber ihre Gedanken verloren sich bald im Nebel. Nicht nur, daß sie einen Haufen Geld besaßen, unterschied jene Leute von ihren eigenen – es trat noch etwas Weiteres hinzu: die Gewißheit, von den ›richtigen‹ Eltern geboren zu sein. Auf den großen Plantagen verrieten selbst die Sklaven noch die selbstverständliche und unbewußte Sicherheit, über welche die Menschen nur dort verfügen, wo sie eines bestimmten und angemessenen Platzes in der allgemeinen Ordnung der Dinge gewiß sind und wo für ihre leiblichen und seelischen Bedürfnisse vorgesorgt ist, solange sie sich dieser Ordnung willig einfügen. Corrie May entsann sich jener geschäftigen schwarzen Mammy – wie sie knickste, als Ann vorüberging –, jenes hochgewachsenen kaffeefarbenen Dieners – wie er sich verbeugte, als Denis die Laufbrücke betrat, die zu dem Flußdampfer hinüberführte –, all jener Kutscher, die würdevoll auf den Böcken der herrschaftlichen Wagen saßen! Sie wurden menschlich und gerecht behandelt, das merkte man ihrem ruhigen und sicheren Benehmen an; sie
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