Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
Winter schlugen angesehene Leute aus dem Norden in Dalroy für einige Wochen ihr Quartier auf, um der Kälte zu entgehen und sich zu erholen. Und im vergangenen Sommer hatten Denis und sie so herzliche Gastfreundschaft genossen, als sie in Saratoga weilten, daß es Zeit wurde, sich erkenntlich zu zeigen.
Ann zog dem Betthimmel ein schiefes Gesicht: es war gar nicht so leicht, ein großes Haus zu führen; man hatte so viele Leute einzuladen, die eingeladen werden mußten, daß man kaum noch Zeit fand, jene einzuladen, die man wirklich einladen wollte. Es war bequem, aber – um die Wahrheit zu sagen, nicht sehr aufregend, die Herrin eines großen Hauses zu spielen; was man von ihr erwartete, stand von vornherein so sicher fest, daß große Entschlüsse kaum jemals zu fassen waren. Es war auch angenehm, zu wissen, daß man nur einer vorgezeichneten Richtschnur zu folgen brauchte, wenn man sein Dasein zu einem vollen Erfolg gestalten wollte; wer klug war, der nahm dies Schicksal lächelnd hin. Was hatte jene Corrie May Upjohn ihr gesagt – damals, als sie nach Ardeith kam, um Arbeit zu suchen? »Sie müssen doch glücklich sein!« Wahrscheinlich hatte Corrie May gemeint, daß jeder zu beneiden wäre, der sich um sein tägliches Brot nicht zu mühen, der sich nicht abzuhetzen brauchte, um für des Leibes Notdurft zu sorgen. Eine komische kleine Person, die Corrie May, dachte Ann mit einer gewissen unverbindlichen Heiterkeit; wie still sie stets ist; sie scheint nicht viel von dem wahrzunehmen, was um sie herum vorgeht. Vielleicht ist sie sogar ein wenig blöde. Wahrscheinlich führt sie kein leichtes Leben; aber sie wird es schließlich gewohnt sein. Leute dieser Art erwarten nicht viel vom Leben.
Wie hieß das trübe Sprichwort, das Mammy immer im Munde führte: »Selig sind, die nichts vom Leben erwarten; sie werden nicht enttäuscht werden.« Ann spürte einen sanften Gewissensbiß: das war es eben; sie erwartete zuviel; sie verlangte Sicherheit und Abenteuer zur gleichen Zeit. Sie hatte nun die Sicherheit gewählt, freiwillig und ohne Zwang, so daß sie kein Recht besaß, sich zu beklagen. Denis war ein ritterlicher, großzügiger und hinreißend leidenschaftlicher Liebhaber und Ehemann. Und Ardeith – oh, wie wunderbar war doch Ardeith und alles, was es bedeutete: ein Dasein frei von Zwietracht und Unordnung, zuverlässig in sich selbst ruhend, und in dieser Zuverlässigkeit die Gefühle all der Menschen sänftigend, die zu Ardeith gehörten. Es kam Ann vor, als schaute sie sich selber zu: wie aus dem Mädchen, das sie gewesen war, die große Dame wurde, welche die stolze Reihe der Larneschen Frauen würdig fortsetzte. Ich bin dazu fähig, dachte sie; nicht alle sind es; und weiter dachte sie: eine große Dame – das bedeutet Musik, Mondschein und kluges Gespräch; aber sie muß auch biegsam und hart sein können wie Stahl; sie ist zu zart, sich selbst die Schuhe und die Strümpfe anzuziehen; aber sie schenkt zehn Kindern das Leben und findet es selbstverständlich; ihr hübscher Kopf ist zu keinem praktischen Gedanken fähig; aber sie versteht es, hundert nicht immer verträgliche Gäste zu einer fröhlichen Einheit zusammenzuschmelzen. Vor der Nervenprobe, sich zu einem Ball ankleiden zu lassen, muß sie stets eine halbe Stunde ruhen; aber dann ist sie imstande, bis zum Morgengrauen zu tanzen. Sie wird ohnmächtig, wenn sie sich einmal in den Finger schneidet und ein Tröpfchen Blut hervordringt; aber sie reitet wilde Jagden hinter der Meute und ist beim blutigen Halali zugegen, als hätte sie nie etwas anderes getan. Den Armen erscheint sie als der Engel des Erbarmens; doch ein Nero kann nicht grausamer sein als sie, wenn sich einer ihrer Standesgenossen gegen die Regeln des vorgeschriebenen Anstandes vergeht. Sie befolgt die Weisungen ihres Gatten mit friedfertigem Respekt, aber wenn sie sich einmal etwas in den Kopf setzt, so erreicht sie alles bei ihm, was sie will!
Ann lacht leise: wenn dies von ihr erwartet wurde, so sollten sie es haben. Sie beschloß, sich so bald wie möglich von dem besten Maler malen zu lassen, der verfügbar war. Ihr Bild sollte in der großen Halle von Ardeith neben den Porträts der Larneschen Vorfahren aufgehängt werden; sie wollte die große Familienlegende eindrucksvoll genug fortsetzen! Es gab schon ein Bild einer geborenen Sheramy in der Halle, jenes bezaubernde alte Bildnis der Judith Sheramy, die noch vor den Unabhängigkeitskriegen einen Philip Larne geheiratet
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