Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
Treppe sollte genug zu sehen sein, um jeden Zweifel daran auszuschließen, wo das Bild gemalt worden war. Ann hatte also viele Stunden lang Modell zu stehen; sie mußte darüber wachen, wie für den kleinen Denis eine neue Aussteuer genäht wurde; er wuchs allmählich aus seinen Säuglingskleidchen heraus; sie hatte all die Feste und Gesellschaften nachzuholen, die sie im Herbst versäumt – ach, sie war pausenlos in Anspruch genommen, konnte nur selten in eine Zeitung blicken und erst recht nicht verfolgen, welche Staaten in der Union verblieben und welche austraten. Von Denis sah sie nicht viel in diesen Tagen. Er war in der Stadt, er war am Hafen, er war bei der Zuckerpresse und trieb die Leute an, denn die Lieferungen nach dem Norden mußten erfüllt werden, solange Handel und Verkehr noch nicht unterbrochen waren. Ann war nicht mit ihm einverstanden, er sollte sie nicht so viel allein lassen. Er erläuterte ihr, daß der Staat Louisiana zwar den ungehinderten Verkehr auf dem Mississippi garantiert habe – aber natürlich könnten diese Garantien jeden Tag widerrufen und zwischen Norden und Süden Zollschranken errichtet werden. Sie seufzte und sagte, wie verrückt ihr die ganze Geschichte vorkäme; es sei doch früher alles glatt gegangen –.
In den ersten Wochen des Frühlings brach die politische Zwietracht in ihr persönliches Dasein, und zwar auf eine Weise, die sie beinahe aus der Fassung brachte. Das Modegeschäft nämlich, von dem sich Ann gewöhnlich bedienen ließ, eröffnete ihr, daß die neue Frühjahrskollektion nicht eingetroffen und auch vorläufig nicht zu erwarten wäre. »Wenn der März vorbei ist, kann man doch nicht weiter Wolle und Sammet tragen!« erwiderte sie höchst ungehalten. Der Verkäufer schüttelte bedauernd sein Haupt: alle Geschäfte, von New York bis nach New Orleans, hätten ihre Aufträge annulliert – wegen der Krise, wie es hieß. Der Inhaber des Geschäfts zeigte ihr den Modebericht aus ›Godey's Damenblatt‹; er enthielt nichts weiter als die Klage, in diesem Jahre sei modisch schlechterdings nichts Neues zu berichten. »Zeigen Sie mir, was Sie vorrätig haben«, stöhnte Ann ehrlich verzweifelt. »Ich muß mir etwas für die heiße Zeit anschaffen.«
Der Verkäufer verbeugte sich tief: »Gewiß, Madame! Was für Stoffe darf ich Ihnen vorlegen? Wo gedenken Madame den Sommer zu verbringen?«
Ann erwiderte, ohne nachzudenken: »Gewöhnlich habe ich einen Teil des Sommers im Norden verbracht – « und hielt plötzlich inne, setzte sich bös auf den Stuhl vor dem Ladentisch und sagte: »Ach, verdammt!«
Mit vollendeter Höflichkeit wandte sich der Verkäufer ab, als hätte er nichts davon gehört, daß auch eine Dame von Welt sich zuweilen zu Flüchen hinreißen läßt; er begann, einige Stoffballen aus den Regalen hervorzuziehen. Ann spürte einen solchen Zorn, daß ihr ganz gleichgültig war, ob der Verkäufer sie fluchen gehört hatte oder nicht. Sie kaufte einige Meter Batist und fuhr in einem Zustand äußersten Unbehagens heimwärts. Sie wollte sich auf ihr Zimmer zurückziehen und den amüsanten Roman beenden, den sie vor einigen Tagen begonnen hatte; dabei würde sie sich erholen. Doch in Ardeith erwartete sie neuer Ärger.
Mrs. Maitland brachte ihr die Gästeliste für ein Abendessen, das Ann schon lange plante. Ann hatte sie längst für beschlossen gehalten. Jetzt hatte Denis sie radikal umgestoßen. Viele Gäste stammten aus anderen Staaten; neuerdings – wie Mrs. Maitland sagte – war es üblich geworden, die Gäste aus jenen Staaten, die als erste aus der Union ausgetreten waren, obenan zu placieren; den Besuchern aus South Carolina gebührte also der Ehrenplatz. Ann riß Mrs. Maitland die Liste aus der Hand und lief damit in das Kontor auf der Rückseite des Hauses, wo Denis über einigen Kontobüchern saß.
»Das ist der tollste Unsinn, den ich je gehört habe«, rief sie wütend. Denis lehnte sich in seinen Stuhl zurück und stimmte ihr erheitert zu: »Vollkommen richtig, Liebling! Aber die Tischordnungen werden jetzt überall nach dieser Regel entworfen. Wir können doch unsere Gäste nicht vor den Kopf stoßen.«
Ann seufzte tief und ließ sich in einen Stuhl fallen; sie nahm die Liste zur Hand. »Meine Vettern aus Savannah – sollen sie über die Leute aus unserer Gegend gesetzt werden?«
»Ja! Georgia ist früher als Louisiana aus der Union ausgetreten.«
»Ich bin froh, daß es so ist. Sonst müßte ich die Fremden tiefer setzen
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