Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
Etiketts für einen Cent pro Stück bei der Liga ein. Der Betrag wird dem Roten Kreuz zur Verfügung gestellt.«
»Warum gibt man dem Roten Kreuz nicht einfach das Porto, das all dieser Aufwand verschlingt?« fragte Eleanor.
»Nun, Eleanor, du verstehst das nicht«, bemerkte Sylvia spitz.
»O doch, ich verstehe durchaus«, sagte Eleanor ungerührt. »Die Gelatinegesellschaft möchte die öffentlichen Sympathien ausnützen, um mehr Gelatine zu verkaufen.«
»Eleanor«, sagte Sylvia, »ich bin enttäuscht von dir. Viele von uns müssen heutzutage so schwer arbeiten.«
Als sie endlich ging, um ihre Werbebesuche fortzusetzen, ging Eleanor hinunter. Sie fand Kester damit beschäftigt, einen Brief von Sebastian zu lesen. Sebastian schrieb, daß die Baumwolle gegenwärtig sechs Cents koste; ob sie zu verkaufen wünschten?
»Die Baumwolle ist alles, was wir gegenwärtig besitzen«, sagte Eleanor, »verschleudern wir sie zu diesem Preis, der nicht einmal die Gestehungskosten deckt, bedeutet das den Bankerott.«
Er stimmte ihr zu. Sie setzte sich zu ihm und nahm seine Hände in die ihren. »Laß uns noch etwas warten, Kester«, sagte sie. »Viele Leute meinen, daß der Krieg noch in diesem Jahre zu Ende ginge.«
Er zuckte die Achseln. »Es gibt auch viele Leute, die sagen, er würde noch lange dauern.«
»Sollte ich unrecht haben und die Lage sich weiter verschlechtern – ich halte es aus«, sagte sie. »Ich habe inzwischen eine Menge gelernt.«
»Du bist ein großartiges Mädchen, Eleanor.«
Sie lächelte: »Ich kann allerhand aushalten, Kester, ausgenommen Sylvia, wenn sie gackert wie ein Huhn, das ein Ei gelegt hat.«
Er lachte: »Sie war ja hier. Was wollte sie denn?«
Eleanor erzählte ihm die Gelatinegeschichte und Sylvias rührende Bemühungen um das Wohl der Belgier. Er lachte abermals:
»Du hättest ihr sagen können, daß ich dem Belgischen Hilfsfonds gestern fünf Dollar gespendet habe.«
»Kester!« fuhr sie auf, »wie konntest du nur! Wo wir jeden Cent dringend brauchen.«
»Ich konnte es nicht abschlagen«, sagte er. »Sie kamen mit den belgischen Kindern und ihrer Not. Ich mußte an Cornelia denken.«
»Wenn du an Cornelia gedacht hättest, würdest du dir klargemacht haben, daß ich für fünf Dollar zwei Paar Schuhe hätte kaufen können«, sagte sie scharf. »Sie hat sie wahrhaftig nötig.«
»Bitte, sei ruhig«, entgegnete Kester. Sie biß sich auf die Lippen. Er war offensichtlich verstimmt und bald danach froh, als Neal Sheramy anrief und ihn zu einer Kinoveranstaltung einlud. Er sagte zu.
Eleanor gab sich alle Mühe, heiter zu erscheinen. Sie nahm kleine gesellschaftliche Einladungen an und bat dann und wann ein paar Freunde zum Abendessen. Wenn sie Isabel irgendwo traf, begrüßte sie sie kurz und schenkte ihr im übrigen so wenig wie möglich Aufmerksamkeit. Wie alle ihre Bekannten sangen auch sie und Kester ›Tipperary‹ und versuchten Worte wie Ypern und Prysansyz auszusprechen. Sie lachten ironisch über die Zeitungsmeldung, daß Gavrilo Princip, der Mann, der mit dem Massenmorden angefangen hatte, zu zwanzig Jahren Kerker verurteilt worden sei; sie erörterten die zahllosen polemischen Artikel, die den Unterschied zwischen Kultur und Kultur klarzumachen suchten; sie beschäftigten sich mit dem neuen Kriegsspiel, das auf einer Landkarte Europas gespielt wurde, mit Armeen und Marineeinheiten Deutschlands, Österreichs, Frankreichs, Belgiens, Großbritanniens und Rußlands, und benahmen sich alles in allem nicht viel anders als alle anderen Leute in diesen Tagen auch. Unterdessen wurden ihre Gläubiger so dringlich mit ihren Forderungen, daß sie sich scheuten, durch die Stadt zu fahren. Jeder Einkauf in der Apotheke oder beim Kaufmann wurde zu einer schwierigen und peinlichen Angelegenheit. Sie konnten keine Nägel kaufen, um ein loses Brett an der Galerie zu befestigen. Das Auto befand sich in einer Verfassung, daß eine gründliche Reparatur unerläßlich wurde, weil man nicht mehr sicher damit fahren konnte. Schon seit Monaten putzten sie die Zähne mit Salz, weil sie sich Zahnpasta nicht leisten konnten.
Im Februar stieg der Baumwollpreis auf acht Cents für das Pfund. Am 1. März schrieb Sebastian in dringender Form, sie möchten verkaufen. Baumwolle werde inzwischen in geringen Mengen nach Übersee verschifft, aber die Tätigkeit der deutschen U-Boote beeinträchtige den Handel mit den Alliierten so stark, daß er allgemach ein schweres Risiko einschließe, so daß
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