Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
»Wo hast du das Messer gefunden?«
»O mein Gott – irgendwo – herumliegend.«
»Herumliegend«, wiederholte Kester. Er setzte sich und ließ die Stirn auf die zusammengelegten Hände sinken. »Warum achte ich auch so wenig auf meine Sachen!« sagte er, mehr zu sich selbst als zu ihr sprechend. »Das ist nun mal so meine Art. Ich habe das Messer vermißt und fragte mich vergeblich, wo ich es gelassen haben könnte.«
Sie saß da und verknotete ihr Taschentuch. »Höre auf, dich selber zu tadeln«, sagte sie.
Aber mit einer geradezu masochistischen Hartnäckigkeit nahm Kester das Thema immer wieder von neuem auf, außerstande, sich davon abzukehren. »Warum habe ich nicht danach gesucht? Ich vermißte es eines Tages, es ist noch nicht sehr lange her.«
Er stellte allerlei Betrachtungen an und hielt dabei seinen Kopf mit den Händen. Sie hätte gern alles gegeben, was sie besaß, um ihn von seinen selbstquälerischen Bemühungen abzuhalten. Aber es war nichts zu machen. Er hockte da, starrte auf den Fußboden und ließ seine Gedanken weiterlaufen.
»Ich erinnere mich an einen Abend, wo ich es brauchte«, sagte er. »Ich wollte eine Flasche Bourbon-Whisky öffnen. Ich habe mit dem Messer die Stanniolkapsel der Flasche gelöst. Dann muß ich es irgendwo hingelegt haben – –«
Nachdem er den letzten Satz gesprochen hatte, fuhr er ruckhaft mit dem Kopf hoch. Er sprang mit einem Satz auf die Füße und war mit zwei langen Schritten bei Eleanor.
»Eleanor, wie bist du an das Messer gekommen?« sagte er.
Seine direkte Frage zerschlug den letzten Rest der künstlichen Mauer, die sie aufzurichten versucht hatte. Sie schüttelte den Kopf und bat ihn mit stummer Geste, nicht auf der Beantwortung seiner Frage zu bestehen.
»Bitte, erzähle!« sagte er rauh.
Sie stieß die Antwort in kleinen stoßweisen Sätzen heraus: »Ich fand es – eines Abends – im Schlafzimmer von – Isabel Valcour. Sie hatte mich draußen bei einem Unwetter aufgelesen und mit in ihre Wohnung genommen. Ich nahm es mit nach Hause und vergaß es dann im Wohnzimmer.«
Sie hielt inne, atemlos fast, als habe sie eine ungeheure Anstrengung hinter sich. Sie wandte den Kopf ab, und ein kleines hilfloses Schluchzen brach über ihre Lippen.
»Warum hast du meinen ersten und einzigen Versuch, mich dir gegenüber großmütig zu benehmen, zerstört?« klagte sie.
Kester ließ sie los. Er wandte sich um und ging auf das Fenster zu. Hier blieb er stehen und sah hinunter auf die Straße. Lange Zeit war lautlose Stille zwischen ihnen. Die Hände in den Jackett-Taschen, starrte Kester durch das Fenster und rührte sich nicht. Eleanor stand schließlich auf, ging zu ihm hinüber und trat dicht hinter ihn.
»Kester«, sagte sie leise, »sprich doch mit mir.«
Ohne sich umzuwenden, antwortete er: »Ich weiß nicht, ob ich noch einmal Gelegenheit haben werde, mit dir zu sprechen. Darum möchte ich dir jetzt gerne sagen, daß ich nun weiß, was für eine Art Mensch ich bin. Ich glaube, Leute meiner Art sind geschaffen, sich selbst zu zerstören.«
Eleanor feuchtete ihre trockenen Lippen an; ihr Hals war so rauh, daß es ihr schwer wurde, zu sprechen. »Hilft es dir, wenn ich dir sage, daß ich mich genauso elend fühle wie du?« flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf und sah sie immer noch nicht an. Eleanor stand reglos schräg hinter ihm.
»Was für eine Zerstörung haben wir angerichtet!« sagte Kester bitter. Einen Augenblick später hörte sie ihn fragen: »Willst du, daß ich gehe?«
»Nein!« schrie sie. Nachdem sie das Wort herausgestoßen hatte, fühlte sie, daß ihr Rückgrat sich steifte. Kesters mehr zu sich selbst gesprochener Satz war erst jetzt in ihr Bewußtsein gedrungen. ›Wir!‹ hatte er gesagt, ›welche Zerstörung haben wir angerichtet?‹ War es so, daß er begriffen hatte, daß sie beide nicht schuldlos waren, dann gab es einen Punkt, wo sie sich treffen konnten. Sie sagte: »Kester, bitte, sieh mich an!«
Er wandte sich langsam um; ihre Augen begegneten sich.
»Ich wollte dir nichts über das Messer sagen«, flüsterte sie, »aber vielleicht ist es ganz gut, daß du mich zwangst, meinen Vorsatz aufzugeben. Weil wir jetzt ehrlich miteinander sprechen können. Isabel Valcour hat mich in jener Nacht gefragt, ob ich mich von dir scheiden lassen wolle.«
»Das hätte sie getan?« Er starrte sie an, offensichtlich überrascht.
»Ja. Ich wollte ihr nicht antworten. Ich sagte ihr, wenn du mich jemals danach fragen
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