Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
Regen in der Luft. Der Spektakel der letzten Nacht hatte viel von ihrer Verzagtheit weggeschwemmt, und der Anblick der Baumwolle ließ sie denken, daß die Börsennotierungen genauso schnell steigen wie fallen konnten. Was immer die Europäer auch für kannibalische Gelüste hegen mochten, schließlich liefen sie bekleidet herum und würden diese Gewohnheit voraussichtlich auch nicht aufgeben. Es sei denn, die Briten fielen in die Sitten ihrer Vorfahren zurück und begännen sich selber blau anzumalen. Den Unsinn belächelnd, den Kester daherschwätzte, fühlte Eleanor, wie ihre Stimmung sich zu heben begann.
Die Baumwolle benötigte gegenwärtig wenig Aufmerksamkeit. Sie ritten an den Hütten vorbei, vor denen die Neger müßig in der Sonne saßen und warteten, daß die Kapseln sich öffnen möchten. Einige Schwarze waren damit beschäftigt, Wassermelonen zu schneiden, und eine Anzahl Negerkinder veranstalteten ein Wettrennen, um dem Herrn und der Herrin einige Scheiben zu bringen. Sie ritten nach Hause und wischten sich die Safttropfen vom Kinn.
Cameo trat ihnen in der Halle mit einem Telegramm entgegen.
»Von Sebastian?« rief Eleanor.
»Höchstwahrscheinlich«, antwortete Kester, das Formular aufreißend. »Er wollte drahten, wenn irgend etwas geschieht.«
Eleanor las über seine Schulter mit. Sie sah die Worte, und ihr war, als würde ihrem Körper plötzlich alles Blut entzogen. Ihre Beine wurden schwer und ihr Körper gefühllos. Das Telegramm lautete:
›NEW ORLEANS BAUMWOLLBÖRSE GESCHLOSSEN – ERSTMALIG IN DER GESCHICHTE ZEHN UHR SECHSUNDZWANZIG HEUTE MORGEN – NEW YORK UND LIVERPOOL BÖRSEN GLEICHFALLS GESCHLOSSEN – DAS HEISST BAUMWOLLE NIRGENDS IN DER WELT ZU IRGENDEINEM PREIS VERKÄUFLICH – SEBASTIAN.‹
Sechstes Kapitel
I
S ehr bald machten sie die Erfahrung, daß sie in einem gelähmten Lande lebten.
Von Virginia bis Texas hatte der Süden von der Baumwolle gelebt. Es gab daneben noch andere Pflanzungen und andere Industrien, gewiß, aber die Baumwolle war das Fundament des Lebens. Die meisten Menschen hier hatten sich auf die Baumwolle ebenso wie auf die Sonne verlassen, und der Gedanke, eines dieser Lichter möchte plötzlich nicht mehr leuchten, wäre ihnen nie in den Sinn gekommen. Es war hier ein Sprichwort im Schwange: Der Süden bekleidet die Welt! Und dieses Sprichwort traf beinahe die Wirklichkeit: Seide und Leinen sind Luxusgewebe, alles andere aber, von den kostbarsten Wollstoffen abgesehen, wurde mit einem Zusatz von Baumwolle gewebt. Baumwolle war der Hauptexportartikel der Vereinigten Staaten.
Ausländische Fabrikanten hatten schon vor Monaten Verträge geschlossen und Anzahlungen auf die Baumwolle geleistet; jetzt lagen die beladenen Schiffe blockiert in amerikanischen Häfen, ganze Schiffsstädte von Fahrzeugen aller im Kriege befindlichen Nationen. Sie lagen so dicht nebeneinander, daß die Mannschaften sich von Deck zu Deck Grüße zurufen konnten. Sie taten das auch, mit einer freundschaftlichen Unbefangenheit, die ihren kriegführenden Herrschern jenseits des Ozeans vermutlich unbegreiflich gewesen wäre, hätten sie sie hören können. In Europa waren die Baumwollpreise derartig in die Höhe geklettert, daß sie nur mehr für die ganz Reichen erschwinglich waren; in den Vereinigten Staaten wurde Baumwolle für sechs Cents pro Meter verkauft, weil diejenigen, die an der Baisse zu verdienen gedachten, veranlaßt hatten, daß Baumwolle nicht ins Ausland geliefert werden durfte.
Eleanor erwachte jeden Morgen mit einem lähmenden Gefühl der Schwere, sah sich mit wirren Blicken um und dachte automatisch: Baumwolle! Sie fürchtete sich vor dem Aufstehen. Sie haßte die Tage, die sich träge und sinnlos dahinschleppten. Sie hatte Angst davor, Kester zu sehen.
Kester selbst sprach wenig über die Lage. Anscheinend beschäftigte er sich mit allem anderen lieber als mit der Frage, ob die Bank die Hypotheken für verfallen erklären würde, wenn es nicht möglich war, im November die längst überfälligen Zinsen zu bezahlen. Aber zuweilen, wenn er mit Cornelia spielte, fing sie einen Blick auf, mit dem er das Kind streifte, und dieser Blick brachte ihr zum Bewußtsein, daß Cornelia die siebente Generation der Larnes auf Ardeith repräsentierte. Und schaudernd bedachte sie, daß das Kind, müßten sie jetzt Ardeith verlassen, nicht einmal eine schwache Erinnerung an die Heimat seines Geschlechtes bewahren würde.
Der Gedanke, sie könne ihre ganze Kraft einsetzen und
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