Lourdes
noch das Gesicht in der Waschschüssel, um sich im kalten Wasser zu erfrischen, als Herr von Guersaint, der nicht allein bleiben konnte, wieder erschien.
»Es ist geschehen«, sagte er, »man bringt uns das Frühstück herauf ... Ach, dieses Hotel! Haben Sie den ganz weiß gekleideten, würdigen Eigentümer, Herrn Majesté, in seinem Büro gesehen? Es scheint, das Haus ist überfüllt... Noch nie hatten sie so viele Gäste... Darum auch der höllische Lärm! Dreimal haben sie mich diese Nacht aufgeweckt. Ich weiß nicht, was in dem Zimmer, das neben meinem Zimmer liegt, getrieben wird. Eben noch vernahm ich einen Stoß gegen die Wand, dann wisperte und dann seufzte es –«
Er unterbrach sich, um zu fragen:
»Haben Sie gut geschlafen?«
»Durchaus nicht«, antwortete Pierre. »Ich war wie zerschlagen, es ist mir unmöglich gewesen, die Augen zu schließen. Zweifellos ist all das Getöse daran schuld, von dem Sie sprechen.«
Er sprach von den dünnen Zwischenwänden, von dem vollgestopften Haus, das unter der Last aller dieser Leute fast zusammenbrach. Die ganze Nacht hindurch hörte man unerklärliche Stöße, ungestüme Laufereien in den Gängen, schwerfällige Schritte, laute Stimmen, ohne das Ächzen der Kranken zu zählen und den Husten, den schrecklichen Husten, der von allen Seiten aus den Mauern herauszukommen schien. Augenscheinlich kamen die ganze Nacht Leute nach Hause und gingen wieder fort, sie standen auf und legten sich wieder zu Bett. Denn man fragte gar nicht mehr nach der Zeit, man lebte in der Unregelmäßigkeit leidenschaftlicher Gemütsbewegungen und ging zur Andacht, wie man zum Vergnügen gegangen wäre.
»Und wie haben Sie Marie gestern abend verlassen?« fragte Herr von Guersaint plötzlich.
»Viel besser«, antwortete Pierre. »Sie hatte eine schlimme Krise, fand dann aber bald all ihren Mut und ihren ganzen Glauben wieder.«
Es trat Stillschweigen ein.
»Oh, ich bin nicht besorgt«, nahm der Vater in seinem ruhigen Optimismus die Rede wieder auf. »Sie werden sehen, daß es sehr gut gehen wird ... Ich bin entzückt. Ich hatte von der Heiligen Jungfrau ihren Beistand für meine Angelegenheiten erbeten, Sie wissen, für meine große Erfindung, das lenkbare Luftschiff. Nun denn, wenn ich Ihnen sagen würde, daß sie mir ihre Gunst schon zu erkennen gegeben hat? Jawohl, als ich gestern abend mit dem Abbé des Hermoises plauderte, sprach er davon, daß er mir ohne Zweifel in Toulouse einen unermeßlich reichen Geldverleiher ausfindig machen würde, einen Freund von ihm, der sich für Mechanik interessiert. Ich habe darin sogleich den Finger Gottes erkannt.«
Und er lachte wie ein Kind. Dann fügte er hinzu:
»Ein sehr liebenswürdiger Mann, dieser Abbé des Hermoises! Ich werde sehen, ob es nicht möglich ist, heute nachmittag und um billigen Preis den Ausflug nach dem Tal von Gavarnie mit ihm zu machen.«
Pierre, der alles, den Gasthof und das übrige bezahlen wollte, drängte ihn freundschaftlich.
»Freilich«, sagte er, »versäumen Sie diese Gelegenheit, die Berge zu besuchen, nicht, da Sie es so sehr wünschen. Ihre Tochter wird glücklich sein, wenn sie weiß, daß Sie glücklich sind.«
Sie wurden jedoch unterbrochen. Das Mädchen brachte ihnen auf einem mit einer Serviette belegten Tablett zwei Tassen Schokolade und zwei kleine Brote. Da sie die Tür offengelassen hatte, konnte man einen Teil des Ganges mit den Zimmerreihen sehen.
»Da! Man macht schon das Zimmer meines Nachbars«, bemerkte Herr von Guersaint. Neugierig fragte er: »Er ist verheiratet, nicht wahr?«
Das Mädchen sah ihn erstaunt an.
»O nein!« antwortete sie, »er ist ganz allein.«
»Wie, ganz allein! Es war eine unaufhörliche Bewegung bei ihm, und diesen Morgen noch wurde bei ihm geplaudert und geseufzt!«
»Das ist nicht möglich, er ist ganz allein. Soeben ging er hinunter, nachdem er Befehl gegeben, man solle rasch sein Zimmer ordnen. Und er hat nur ein Zimmer mit einem großen Schrank, dessen Schlüssel er mitgenommen hat, weil er da Wertsachen eingeschlossen hat.«
Sie vergaß sich und schwatzte weiter, während sie die zwei Tassen Schokolade auf den Tisch stellte.
»Er ist wohl ein Mann von Stande. Das letzte Jahr hatte er eines der einzeln stehenden Sommerhäuser bekommen, die Herr Majesté im nächsten Gäßchen vermietet. Dieses Jahr aber ist er zu spät gekommen, er mußte sich mit diesem Zimmer begnügen, was ihn geradezu zur Verzweiflung brachte. Weil er nicht mit aller Welt essen mag,
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