Lourdes
wie das Geld aus der ganzen Christenheit herbeifloß. Man richtete die Grotte ein und verschloß sie mit einem Gitter. Der Gave wurde rückwärts in ein neues Bett umgeleitet, um breite Zufahrten, Rasenplätze, Alleen und Promenaden anzulegen. Schließlich begann sich die Basilika, die von der Heiligen Jungfrau verlangte Kirche, auf dem Gipfel des Felsens selbst zu erheben. Vom ersten Spatenstich an leitete der Kurat von Lourdes, Abbé Peyramale, alles mit außerordentlichem Eifer, denn der Kampf hatte den glühendsten Gläubigen, den aufrichtigsten Förderer des Werkes aus ihm gemacht. Er hatte begonnen, Bernadette mit etwas rauher, väterlicher Zuneigung zu verehren. Er machte die Sendung des Kindes zu der seinigen und ergab sich mit Leib und Seele der Verwirklichung der Befehle, die er durch den Mund dieser Unschuldigen vom Himmel erhalten hatte. Er strengte sich in der Leitung der Arbeiten bis zur Erschöpfung an, er wollte, daß alles sehr schön, sehr erhaben und der Engelskönigin würdig werde, die die Gnade hatte, diesen Bergwinkel zu besuchen. Die erste religiöse Zeremonie fand erst sechs Jahre nach den Erscheinungen statt: man errichtete in der Grotte unter großer Prachtentfaltung eine Marmorstatue der Jungfrau an der Stelle, an der sie zuerst erschienen war. An diesem Tag hatte sich Lourdes bei herrlichem Wetter in Flaggenschmuck geworfen, und alle Glocken läuteten. Fünf Jahre später, im Jahre 1869, wurde die erste Messe in der Basilika gelesen, deren Turmspitze noch nicht vollendet war. Die Geschenke vermehrten sich ohne Unterlaß, ein Goldstrom wälzte sich der Grotte zu, und eine ganze Stadt stand im Begriff, aus dem Boden emporzuwachsen. So vollendete sich die Gründung der neuen Religion. Der Wunsch, gesund zu werden, heilte, der Durst nach dem Wunder bewirkte das Wunder. Ein Gott des Erbarmens und der Hoffnung ging hervor aus dem menschlichen Leid, aus jenem Bedürfnis des Truges und des Trostes, das in allen Zeitaltern des Menschengeschlechts die wunderbaren Paradiese des Jenseits geschaffen hat, in denen ein allmächtiges Wesen Gerechtigkeit übt und das ewige Glück austeilt.
Auch die Kranken des Saales Sainte-Honorine erblickten im Sieg der Grotte nur den Triumph ihrer Hoffnungen auf Genesung. Und alle freuten sich, als Pierre, dessen Herz beim Anblick all dieser armen, nach Gewißheit schmachtenden und gegen ihn gekehrten Gesichter bewegt wurde, wiederholte:
»Gott hatte gesiegt, und von jenem Tag an hörten die Wunder nicht auf. Den demütigsten Geschöpfen wird der größte Beistand zuteil.«
Er legte das Buch weg. Der Abbé Judaine trat ein, die Kommunion sollte beginnen. Aber Marie, neuerdings vom Fieber des Glaubens ergriffen, beugte sich zu ihm, ihre Hände brannten.
»Mein lieber Freund«, flüsterte sie, »erweisen Sie mir den großen Dienst, mein Schuldbekenntnis anzuhören und mir die Absolution zu erteilen. Ich habe gelästert und befinde mich im Zustande der Todsünde. Wenn Sie mir nicht zu Hilfe kommen, werde ich die heilige Hostie nicht empfangen können, und ich bedarf doch so sehr des Trostes und der Stärkung!«
Der junge Priester machte eine Gebärde der Weigerung. Nie hatte er die Beichte dieser Freundin hören wollen, der einzigen Frau, die er in den gesunden und lachenden Jugendjahren geliebt und begehrt hatte.
Aber Marie bestand darauf.
»Ich bitte Sie inständig darum«, sagte sie, »Sie werden das Wunder meiner Heilung unterstützen.«
Da gab er denn nach, er empfing das Geständnis ihres Fehlers, der ruchlosen Empörung ihres Leidens gegen die Heilige Jungfrau, die für ihre Gebete taub geblieben war. Darauf erteilte er ihr die Absolution.
Der Abbé Judaine hatte schon das Ciborium auf einem kleinen Tisch zwischen zwei angezündeten Wachskerzen niedergestellt, die im Halbdunkel des Saales zwei trüben Sternen glichen. Der Geruch der kranken Leiber und der aufgehäuften Lumpen war so unerträglich geworden, daß man sich soeben entschlossen hatte, eines von den auf den Hof gehenden Fenstern ganz zu öffnen, aber es kam keine frische Luft herein. Der enge, in nächtliche Finsternis getauchte Hof war einem geheizten Schacht ähnlich.
Pierre erbot sich zum Meßdiener und sprach das »Confiteor«. Dann erhob der mit dem Chorhemd bekleidete Geistliche, nachdem er mit dem »Misereatur« und dem »Indulgentiam« geantwortet hatte, das Hostiengefäß, indem er sprach:
»Sehet an das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt!«
Und alle die in Schmerzen
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