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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Gutherzigkeit wieder: er weinte und nannte ihn seinen lieben Kleinen. Als sich dann Frau Chaise näherte, um zu helfen, stieß Gustave sie mit einer Gebärde heftigen Zorns zurück, wie wenn er die moralische Verderbnis erkannt hätte, in die das Geld dieser Frau seine Eltern zog, die doch brave Leute waren. Die alte Dame setzte sich verletzt abseits, während Vater und Mutter, jetzt wieder beruhigt, der Heiligen Jungfrau dankten, daß sie ihnen dieses teure Kleinod bewahrt hatte. Der Knabe lächelte ihnen zart und traurig zu: er wußte alles und fand mit seinen fünfzehn Jahren schon keinen Geschmack mehr am Leben.
    »Können wir Ihnen in irgend etwas nützlich sein?« fragte Pierre verbindlich.
    »Nein, nein, meine Herren, besten Dank!« antwortete Herr Vigneron, der einen Augenblick auf den Gang hinaustrat. »Oh, welchen Schrecken haben wir gehabt! Denken Sie nur, den einzigen Sohn, der uns so teuer ist!«
    Die Stunde des Frühstücks brachte das ganze Haus in lärmende Bewegung. Alle Türen klappten, die Gänge und die Treppe hallten von fortwährendem Laufen wider. Drei erwachsene Mädchen kamen vorüber, ihre Röcke bauschten sich auf im Wind. Kinder von wenigen Jahren weinten im Hintergrund eines benachbarten Zimmers. Man sah auch alte, vernarrte Leute und bestürzte Priester, die ihre Soutanen mit beiden Händen emporhoben, um schneller zu laufen. Man fühlte, wie die Bretter unter der allzu schweren Last der in dem Hotel zusammengedrängten Leute von unten bis oben zitterten.
    Ein Mädchen brachte auf einem großen Tablett ein vollständiges Frühstück. Sie hatte an der Tür des Herrn gepocht, der ganz allein wohnte; es dauerte aber lange, bis die Tür geöffnet wurde. Als sie sich endlich auftat, sah man das ruhige Zimmer, in dem der Herr allein war. Als die Magd sich zurückzog, schloß die Tür sich wieder vorsichtig hinter ihr.
    »Ich hoffe fest, daß es vorbei ist, und daß die Heilige Jungfrau ihn heilen wird«, wiederholte Herr Vigneron, der seine zwei Nachbarn nicht losließ. »Wir wollen hinuntergehen, denn ich gestehe Ihnen, die Sache hat mich ordentlich angegriffen. Ich habe einen schrecklichen Hunger.«
    Als Pierre und Herr von Guersaint ihre Zimmer verlassen hatten, erwartete sie die Unannehmlichkeit, im Speisesaal auch nicht den bescheidensten Platz an einem Tisch mehr frei zu finden. Großes Gedränge herrschte in dem Saale, und die etlichen noch leeren Plätze waren belegt. Sie mußten warten und baten den Kellner, sie zu verständigen, sobald es zwei freie Gedecke gäbe. Und da sie nicht wußten, was sie tun sollten, spazierten sie in der Vorhalle des Gasthofs herum, die sich gegen die Straße öffnete, und vor der eine sonntäglich geputzte Bevölkerung vorbeizog.
    Da erschien aber der Eigentümer des Hotels, Herr Majesté ganz weiß gekleidet, in eigener Person und fragte mit großer Höflichkeit:
    »Möchten die Herren nicht im Salon warten?«
    Er war ein dicker Mann von fünfundvierzig Jahren, der sich Mühe gab, seinen Namen mit königlichem Anstand zu tragen. Kahlköpfig und glatt, mit runden blauen Augen in einem wächsernen Gesicht und einem dreifachen Kinn, zeigte er eine große Würde. Er war mit den Schwestern, die die Waisenanstalt besorgten, von Nevers gekommen und hatte eine kleine schwarze Frau aus Lourdes geheiratet. Ganz allein machten sie in weniger als fünfzehn Jahren aus ihrem Gasthof eines der behäbigsten und bestbesuchten Häuser der Stadt. Seit einigen Jahren hatte der Wirt einen Handel mit religiösen Gegenständen damit verbunden, der links ein ganzes, weites Geschäft einnahm und dem unter der Aufsicht der Frau Majesté eine junge Nichte vorstand.
    »Möchten sich die Herren nicht im Salon niedersetzen?« wiederholte der Wirt, den Pierres Soutane sehr zuvorkommend machte.
    Die zwei zogen es vor, herumzugehen und stehend in der freien Luft zu warten, worauf Majesté sie nicht verließ. Er wollte einen Augenblick mit ihnen plaudern, wie er es mit den Gästen, die er auszuzeichnen wünschte, gewöhnlich tat. Die Unterhaltung drehte sich zuerst um die Fackelprozession am Abend, die bei diesem bewunderungswürdigen Wetter herrlich zu werden versprach. Es waren mehr als fünfzigtausend Fremde in Lourdes. Spaziergänger waren aus allen benachbarten Badeorten gekommen, und das erklärte die Überfüllung des Speisesaals. Vielleicht würde es in der Stadt an Brot fehlen, wie es im vergangenen Jahr vorgekommen war.
    »Sie sehen das Gedränge«, schloß Majesté, »wir

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