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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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über den Gottesdienst zum Schweigen zu bringen angesichts der Notwendigkeit, das Brot der Lüge zu reichen, dessen die arme Menschheit bedarf, um glücklich zu leben. »O mein Gott! Verzeih mir, wenn ich dich herabsteigen lasse von dem Thron deiner ewigen Macht, wenn ich dich erniedrige zu diesem kindischen Spiel mit den unnützen Wundern! Man beschimpft dich durch den Glauben, daß du dich in das klägliche Abenteuer einlassen solltest, bei dem es nur Krankheit und Unvernunft gibt. Aber, mein Gott! Sie leiden so sehr, sie sind so hungrig nach dem Wunderbaren und nach Feenmärchen, um den Schmerz darüber, daß sie leben, zu zerstreuen! Wenn sie deine Schafe wären, würdest du selbst helfen, sie zu täuschen. Laß sie getröstet werden, wenn auch die Idee deiner Göttlichkeit dadurch zu Schaden kommt!« So hatte der in Tränen aufgelöste Bischof der aufwallenden Hirtenliebe zu seiner beklagenswerten menschlichen Herde das Opfer seines Gottes gebracht ...
    Dann ergab sich der Kaiser. Er war damals in Biarritz, und man unterrichtete ihn täglich über die Angelegenheit dieser Erscheinungen, mit denen sich in Paris die ganze Presse beschäftigte. Der Kaiser bewahrte, während sein Minister, sein Präfekt und der Polizeikommissar für den gesunden Verstand und die gute Ordnung sich schlugen, jenes tiefe Schweigen eines wachen Träumers, das niemand je ergründete. Täglich liefen Bittschriften ein, er schwieg. Bischöfe waren gekommen und hohe Persönlichkeiten, große Damen seiner Umgebung lauerten ihm auf und führten ihn auf die Seite, aber er schwieg. Um seine Entscheidung wurde ein ganzer Kampf ohne Waffenstillstand ausgefochten. Auf der einen Seite standen die Gläubigen, die durch das Wunder in Leidenschaft versetzt wurden, auf der andern die Ungläubigen, die Männer der Regierung, die der unruhigen Einbildungskraft nicht trauten, aber er schwieg. Plötzlich kam er zu einem verzagten Entschluß: er sprach. Es ging das Gerücht, er hätte sich durch die flehentlichen Bitten der Kaiserin zu einem Beschluß bestimmen lassen. Ohne Zweifel war diese als Vermittlerin eingeschritten, aber mehr noch war es bei dem Kaiser ein Wiedererwachen seines alten Traums, die Rückkehr seines wahrhaften Erbarmens mit den Enterbten. Wie der Bischof wollte auch er den Elenden die Pforte der Illusion nicht dadurch verschließen, daß er die unpopuläre Verordnung des Präfekten schützte, die den verzweifelten Kranken verbot, am heiligen Brunnen das Leben zu trinken. Er sandte eine Depesche mit dem kurzen Befehl, den Zaun niederzureißen, damit die Grotte frei würde.
    Das war ein Hosianna, das war ein Triumph! Unter Trommelwirbel und Trompetentusch wurde die neue Verordnung in Lourdes verlesen: der Polizeikommissar in Person mußte zur Entfernung des Zaunes schreiten. Er wurde ebenso wie der Präfekt versetzt. Die Völker kamen von allen Seiten herbei, und in der Grotte wurde der Gottesdienst eingerichtet. Ein Schrei göttlicher Freude stieg auf: »Gott hat gesiegt!« – Gott? Ach nein, sondern das menschliche Elend, das ewige Bedürfnis des Trugs, jener Hunger nach dem Wunderbaren, jene Hoffnung des Verdammten, der sich, um Rettung zu finden, den Händen einer unsichtbaren Allmacht übergibt, die stärker ist als die Natur und allein deren unerbittliche Gesetze zu brechen vermag, wenn sie es nur will. Und was außerdem gesiegt hatte, das war das erhabene Mitleid der Führer der Herde. Bischof und Kaiser ließen in ihrer Barmherzigkeit den großen kranken Kindern den Fetisch, der die einen tröstete und die anderen manchmal sogar heilte.
    Gleich Mitte November kam die bischöfliche Kommission nach Lourdes, um die Untersuchung vorzunehmen, mit der sie beauftragt war. Sie verhörte Bernadette noch einmal und studierte eine große Anzahl von Wundern. Gleichwohl hielt sie nur dreißig Heilungen, die von unbedingter Augenscheinlichkeit waren, für erwiesen. Monsignore Laurence erklärte sich nun für überzeugt. Trotzdem legte er einen letzten Beweis seiner Klugheit dadurch ab, daß er noch drei Jahre wartete, ehe er in einer bischöflichen Verordnung den Ausspruch tat, die Heilige Jungfrau sei tatsächlich in der Grotte von Massabielle erschienen, und es hätten sich hierauf zahlreiche Wunder begeben. Er hatte von der Stadt Lourdes die Grotte selbst mit dem ganzen sie umgebenden Platz im Namen des Bistums gekauft. Dann wurden Arbeiten ausgeführt, zuerst in bescheidenem Umfang, bald aber von immer größerer Bedeutung, in dem Maß,

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