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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sich windenden Frauen, die die Kommunion mit der Ungeduld erwarteten, mit der ein Todkranker das Leben von einem neuen Trank erhofft, auf den man ihn warten läßt, wiederholten dreimal mit geschlossenem Munde den Spruch der Demütigung:
    »O Herr! Ich bin nicht würdig, daß du eingehst unter mein Dach, sprich aber nur ein Wort, und meine Seele wird gesunden.«
    Der Abbé Judaine hatte, begleitet von Pierre, den Gang zu den Krankenbetten angetreten, während Frau von Jonquière und Schwester Hyacinthe, jede mit einer Wachskerze in der Hand, ihnen folgten. Die Schwester bezeichnete die Kranken, die kommunizieren sollten, und der Priester beugte sich vor und legte, indem er die lateinischen Worte dazu murmelte, ein wenig aufs Geratewohl die Hostien auf ihre Zungen. Beinahe alle warteten mit weitgeöffneten, leuchtenden Augen inmitten der durch die allzu hastige Einrichtung des Saals entstandenen Unordnung. Allerdings mußte man zwei von ihnen, die tief eingeschlafen waren, wecken. Viele ächzten, ohne sich dessen bewußt zu sein, und fuhren fort zu ächzen, nachdem sie Gott empfangen hatten. Im Hintergrund des Saales hielt das Röcheln der Kranken, die man nicht sehen konnte, noch immer an. Man konnte sich nichts Traurigeres denken als diesen kleinen Zug in dem Halbdunkel, durch das die zwei gelben Lichter der brennenden Wachskerzen gleich Sternen schimmerten.
    Das Antlitz Mariens aber, die in Verzückung versunken war, bot eine göttliche Erscheinung. Man hatte der Grivotte, die nach dem Brot des Lebens hungerte, die Kommunion verweigert, weil sie sie am Morgen in der Rosenkranzkirche empfangen sollte. Frau Vêtu erhielt die Hostie stumm während eines Schluchzens auf ihre schwarze Zunge gelegt.
    Jetzt war Marie an der Reihe, so schön im blassen Schein der Kerzen, inmitten ihrer blonden Haare, mit den erweiterten Augen und ihren vom Glauben verklärten Zügen, daß alle sie bewunderten. Sie kommunizierte mit großer Inbrunst; der Himmel stieg sichtbar in sie hinab, in ihren armen, jugendlichen, gepeinigten Körper. Einen Augenblick hielt sie Pierre mit der Hand fest.
    »Oh, lieber Freund! Sie wird mich heilen, sie sagte mir's soeben ... Gehen Sie zur Ruhe! Ich werde einschlafen!«
    Als Pierre sich mit dem Abbé Judaine zurückzog, bemerkte er die kleine Frau Desagneaux im Sessel, auf den die Ermüdung sie gleichsam hingeworfen hatte. Nichts konnte sie erwecken. Es war halb zwei Uhr morgens. Frau von Jonquière, von Schwester Hyacinthe unterstützt, wandelte fortwährend hin und her, drehte die Kranken um, säuberte und verband sie. Mittlerweile beruhigte sich der Saal und verfiel, seitdem Bernadette mit ihrem Zauberreiz hindurchgeschritten war, in eine freundlichere dunkle Schwere. Das Schattenbild der kleinen Seherin irrte jetzt zwischen den Betten umher. Sie triumphierte, denn sie hatte ihr Werk getan und jeder Verzweifelten, jeder Enterbten dieser Erde ein wenig vom Himmelreich mitgebracht. Und während alle in Schlaf versanken, sahen sie die armselige und kranke Bernadette, wie sie sich über sie beugte und sie lächelnd küßte.

Dritter Tag
I
    An diesem schönen, warmen und hellen Augustsonntag befand sich Herr von Guersaint in einem der zwei kleinen Zimmer, die er im dritten Stock des Hotels des Apparitions in der Rue de la Grotte gemietet hatte. Er war gleich um elf Uhr zu Bett gegangen, wachte ausgeruht auf und kleidete sich an. Er ging dann sogleich ins andere Zimmer hinüber, das Pierre bewohnte. Dieser aber, der erst nach ein Uhr morgens zurückgekehrt war, war erst gegen Tag eingeschlummert und schlief noch. Seine über einen Stuhl geworfene Soutane und die anderen umherliegenden Kleidungsstücke verrieten seine Ermüdung und seine Aufregung.
    »Sie Faulenzer!« rief Herr von Guersaint heiter. »Hören Sie die Glocken nicht läuten?«
    Pierre fuhr aus dem Schlafe auf. Er war überrascht, sich in diesem engen, von der Sonne überfluteten Hotelzimmer zu finden. In der Tat drang durch das offene Fenster der fröhliche Schall der Glocken herein, in der ganzen glücklichen Stadt läutete es.
    »Es wird uns nicht mehr gelingen, vor acht Uhr im Hospital zu sein, um Marie abzuholen«, sagte Herr von Guersaint. »Denn wir wollen jetzt frühstücken, nicht wahr?«
    »Natürlich. Bestellen Sie rasch zwei Tassen Schokolade. Ich stehe unterdessen auf, ich werde nicht lange brauchen.«
    Als Pierre sich allein befand, sprang er trotz der Steifheit, die seine Glieder zerbrach, aus dem Bett und beeilte sich. Er hatte

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