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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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die undankbare jüngere Schwester zur Teilung zu zwingen, indem auch sie Pilger beherbergte und Läden eröffnete. Aber die Geschäfte bekamen nur dann Kunden, wenn sie sich nahe bei der Grotte befanden. Dieser ungleiche Kampf vergrößerte den Bruch und machte die obere und untere Stadt zu unversöhnlichen Feinden, die sich in fortwährenden Kämpfen verzehrten.
    »Ach nein! Mich wird man gewiß nicht in ihrer Grotte sehen«, begann Cazaban wiederum wütend. »Sie sollen die Leute ruhig mit der Grotte zum Narren halten und sie in alle Brühen tunken! Eine solche Götzendienerei, ein so grober Aberglaube im neunzehnten Jahrhundert! Fragen Sie sie doch, ob sie seit zwanzig Jahren einen einzigen Kranken der Stadt geheilt hat! Und trotzdem haben wir genug Krüppel in unseren Straßen. Im Anfang waren es die hiesigen Leute, die aus den ersten Wundern Gewinn zogen. Aber es scheint, ihr Wunderwasser hat seit langer Zeit alle Kraft für uns verloren, wir sind zu nahe dabei, man muß weit her kommen, wenn man will, daß das Ding wirken soll! Wahrhaftig, es ist zu dumm. Sie werden mich nicht dazu bringen, da hinunterzugehen, nicht für hundert Frank!«
    Die Unbeweglichkeit Pierres schien ihn zu reizen. Er ging gerade zur rechten Wange seines Kunden über und zog nun gegen die Patres von der Unbefleckten Empfängnis los, deren Geldsucht die einzige Ursache des Zwists war. Diese Patres wohnten auf ihrem eigenen Grund und Boden, denn sie hatten der Gemeinde die Plätze, auf denen sie bauen wollten, abgekauft. Aber sie hielten den mit der Stadt abgeschlossenen Vertrag nicht, denn sie hatten sich darin verpflichtet, jeden Handel und den Verkauf des Wassers und der geweihten Artikel zu unterlassen. In jedem Fall hätte man Prozesse gegen sie anstrengen können. Aber sie machten sich lustig darüber. Sie fühlten sich so stark, daß sie dem Kirchspiel kein einziges Geschenk mehr zugehen ließen, so daß alles gesammelte Geld sich anhäufte und nach der Grotte und der Basilika strömte.
    Cazaban rief offenherzig:
    »Wenn sie wenigstens entgegenkommend wären und einwilligten, daß es geteilt würde!«
    Als dann Herr von Guersaint sich gewaschen und wieder gesetzt hatte, fuhr er fort:
    »Und wenn ich Ihnen erst sagte, was sie aus unserer armen Stadt gemacht haben! Ich versichere Sie, vor vierzig Jahren waren die hiesigen Mädchen überaus sittsam. Ich erinnere mich, daß, wenn in meiner Jugendzeit ein junger Bursch einen Spaß haben wollte, es nur drei oder vier schamlose Weibsbilder hier gab, um ihn zu befriedigen. Ich sah, wie an den Markttagen die Männer vor ihren Türen Schlange standen. Mein Ehrenwort darauf! Aber die Zeiten haben sich geändert und die Sitten sind nicht mehr die nämlichen. Beinahe alle Töchter des Landes geben sich jetzt mit dem Verkauf der Kerzen und Blumensträuße ab. Haben Sie gesehen, wie sie die Vorübergehenden anhalten und ihnen ihre Ware mit Gewalt in die Hände drücken? Solche Weiber sind eine wahre Schande! Sie verdienen viel, gewöhnen sich an die Faulheit, tun im Winter nichts mehr und warten, bis die Zeit der großen Pilgerfahrten wiederkommt. Und ich versichere Sie, heute finden die herumschwärmenden Burschen Mädchen, die mit sich reden lassen! Nehmen Sie noch die nicht seßhafte, verdächtige Bevölkerung dazu, von der wir überfallen werden, sobald die ersten schönen Tage sich einstellen – die Kutscher, Händler, Marketender, ein ganzes Nomadenvolk, das von Roheit und Laster trieft, dann haben Sie die ehrbare neue Stadt, die sie uns beschert haben, mit den Menschenmassen, die zu ihrer Grotte und in ihre Basilika kommen!«
    Pierre ließ ganz betroffen seine Zeitung fallen. Er hörte zu, und zum erstenmal standen in anschaulicher Wahrheit zwei Lourdes vor ihm, das alte Lourdes, ehrenhaft und fromm in seiner ruhigen Einsamkeit, und das neue Lourdes, verderbt und entartet durch die wachsende Flut von Fremden, die die Stadt im Eilschritt durchwanderten, durch die verhängnisvolle Fäulnis der Menschenanhäufung und die Ansteckung der bösen Beispiele. Welche Wendung, wenn man an die arglose Bernadette zurückdachte, die vor der ursprünglichen wilden Grotte kniete, und an den ganzen naiven Glauben und die reine Inbrunst der ersten Arbeiter am Werke! Hatten sie wirklich gewollt, daß das Land derart durch Gewinnsucht und Schmutz der Menschen vergiftet würde? Es genügte, daß die Völkermassen kamen, gleich brach die Pest aus!
    Da Cazaban sah, daß Pierre zuhörte, machte er eine letzte

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