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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sich außerordentlich glänzend entfalten, wie man es nur selten sähe. Gegen dreißigtausend Pilger mit brennenden Kerzen in der Hand sollten mitziehen, die Wunder des nächtlichen Himmels sich öffnen und die Sterne auf die Erde fallen. Die Kranken klagten darüber, wie traurig es sei, ans Bett gefesselt zu sein und nichts von diesen Wunderdingen sehen zu dürfen.
    »Mein liebes Kind!« sagte Frau von Jonquière, »hier sind Ihr Vater und der Herr Abbé.«
    Marie strahlte vor Freude und vergaß, daß man sie hatte warten lassen.
    »Pierre«, sagte sie, »ich bitte Sie inständig, lassen Sie uns rasch aufbrechen!«
    Die Männer trugen sie hinunter, und der Priester zog den kleinen, unter dem sternbesäten Himmel sanft dahinrollenden Wagen, während Herr von Guersaint an dessen Seite schritt. Es war eine mondlose, bewunderungswürdig schöne Nacht, der Himmel, wie aus dunkelblauem, mit Diamanten bestickten Samt, und die köstlich milde Luft ein laues, vom Wohlgeruch der Berge balsamisch durchduftetes, reines Bad. Viele Pilger, die alle den Weg nach der Grotte einschlugen, drängten sich in die Straße, aber die Menge war schweigsam. Es war eine Flut innerlich gesammelter Menschen, die nichts mehr von dem Jahrmarktstreiben des Tages an sich hatten. Vom Plateau de la Merlasse an dehnte sich die Finsternis aus, unter dem unermeßlichen Himmelsgewölbe flutete es auf den Rasenplätzen und unter den hohen Bäumen wie ein Meer von Schatten, aus dem man nichts emportauchen sah, als links die schmale und schwarze Spitze des Basilikakirchturms.
    Pierre wurde von Unruhe ergriffen angesichts der Menschenmenge, die um so dichter wurde, je weiter man vorwärts rückte. Schon auf dem Platz der Rosenkranzkirche kam man nur mit Mühe vorwärts.
    »Wir können nicht bis zur Grotte kommen«, sagte er und blieb stehen. »Das beste wäre, eine Allee hinter der ›Zuflucht der Pilger‹ zu erreichen und zu warten.«
    Aber Marie wünschte lebhaft, den ersten Aufbruch der Prozession zu sehen.
    »Ich bitte, lieber Freund, versuchen Sie bis an den Gave zu gelangen. Ich will von weitem zuschauen, ich will ja gar nicht nahe heran.«
    Auch Herr von Guersaint war neugierig und drang darauf.
    »Haben Sie keine Angst«, sagte er, »ich gehe hinter Ihnen und gebe darauf acht, daß niemand sie anstößt.«
    Pierre mußte sich fügen und den Wagen weiter ziehen. Er bedurfte einer Viertelstunde, ehe er einen Brückenbogen der rechten Rampe erreichen konnte, so sehr drängte sich dort die Menge. Dann schlug er eine etwas schräge Richtung ein und befand sich endlich auf dem Quai, am Ufer des Gave. Dort besetzten fast nur Zuschauer den Bürgersteig, und er konnte noch etwa fünfzig Meter vorwärts kommen. Dann hielt er den Wagen gegenüber der Brüstung an, von der aus man die Grotte gut beobachten konnte.
    »Ist es so recht?« fragte er.
    »O ja, ich danke! Nur sollte man mich zum Sitzen in die Höhe richten, ich sehe dann besser!«
    Herr von Guersaint richtete sie auf und stieg dann selber auf die Steinbank, die sich auf dem Quai von einem Ende zum andern hinzieht. Ein Getümmel von Neugierigen ballte sich dort zusammen, wie an Abenden, an denen ein Feuerwerk abgebrannt wird. Alle reckten sich und streckten die Hälse in die Höhe. Selbst Pierre fühlte sich gefesselt, obgleich man noch nicht viel sah.
    Es waren dreißigtausend Personen anwesend, und noch immer strömten Menschen hinzu. Alle trugen eine Kerze in der Hand. Jede Kerze war in eine Art Tüte aus weißem Papier eingewickelt, auf dem man in blauer Farbe eine gedruckte Abbildung Unserer Lieben Frau von Lourdes sah. Aber diese Kerzen waren noch nicht angezündet. Über die wogende See der Menschenköpfe hinweg bemerkte man nur die im Lichterglanz brennende Grotte, die den Schein eines glühenden Hammerwerks ausstrahlte. Ein großes Summen erhob sich, es wurden Seufzer laut, die daran erinnerten, daß Tausende von eng aneinander gedrängten, atemlosen Geschöpfen da waren, die sich in der Tiefe des Schattens verloren und wie ein lebendiger, sich ausbreitender Wasserspiegel ohne Aufhören hin und zurück flössen. Überall befanden sich Leute, unter den Bäumen jenseits der Grotte und in den Tiefen der Finsternis, die man gar nicht ahnte.
    Die Feierlichkeit begann endlich. Da und dort leuchteten jetzt einige Kerzen. Es war, als ob plötzlich auftauchende Feuerfunken die Dunkelheit aufs Geratewohl durchbrachen. Ihre Zahl vermehrte sich rasch, es bildeten sich kleine Inseln von Sternen, während

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