Lourdes
drohende Gebärde, als ob er all diesen vergiftenden Aberglauben wegfegen wollte. Dann frisierte er Herrn von Guersaint schweigend.
»Bitte sehr, mein Herr!«
Erst jetzt sprach der Architekt über den Wagen. Anfangs entschuldigte sich der Barbier, er gab vor, seinen Bruder auf der Gemeindewiese besuchen zu müssen. Zuletzt willigte er ein, den Auftrag anzunehmen. Ein zweispänniger Landauer nach Gavarnie kostete fünfzig Frank. Da er aber ganz glücklich darüber war, daß er so viel hatte plaudern können, und weil es ihm schmeichelte, als ehrenhafter Mann behandelt zu werden, so ließ er ihn schließlich für vierzig Frank. So fielen, da man zu vieren war, auf jede Person zehn Frank. Man kam überein, nachts gegen zwei Uhr abzufahren, so daß man tags darauf, am Montag abend, rechtzeitig wieder zurück sein konnte.
»Der Wagen wird zur Zeit vor dem Hotel des Apparitions stehen«, wiederholte Cazaban nachdrücklich. »Sie können sich darauf verlassen.«
Da spitzte er die Ohren. Das Geklapper des hin und her geschobenen Tischgeräts im Nebenzimmer hörte nicht auf. Man aß dort noch immer, wie überall, in der gefräßigen Gier, die von einem Ende der Stadt bis zum andern wütete. Eine Stimme erhob sich, es wurde Brot verlangt.
»Entschuldigen Sie mich«, sagte Cazaban lebhaft, »meine Gäste rufen nach mir.«
Seine Hände waren noch schmierig vom Kamm, doch er stürzte fort. Als die Tür eine Sekunde lang offenblieb, bemerkte Pierre an den Wänden des Eßzimmers fromme Bilder, die ihn überraschten, namentlich eine Ansicht der Grotte. Ohne Zweifel hängte sie der Barbier nur während der Zeit der Pilgerfahrten auf, um seinen Gästen ein Vergnügen zu machen.
Es war gleich drei Uhr. Als Pierre und Herr von Guersaint wieder draußen waren, setzte sie der volle Glockenklang in Erstaunen, der in der Luft schwebte. Beim ersten Beginn des in der Basilika angestimmten Vesperläutens antwortete die Pfarrkirche, dann kamen die Klöster nacheinander und stimmten in das wachsende Geläute ein. Die kristallreine Glocke der Karmeliter mischte sich in den dumpfen Ton der Kirche von der Unbefleckten Empfängnis und die fröhlichen Glocken der Schwestern von Nevers und der Dominikanerinnen erklangen gleichzeitig. An den schönen Festtagen waren die Glocken vom Morgen bis zum Abend in Bewegung, und ihre Töne schwangen sich mit vollen Flügeln über die Dächer von Lourdes. Es gab nichts Heiteres als diesen hellen Sang des Erzes unter dem weiten blauen Himmel, über dieser gefräßigen Stadt, die endlich gefrühstückt hatte und sich nun zur Verdauung im Sonnenschein erging.
III
Sobald die Nacht niedergesunken war, wurde Marie im Hospital Notre-Dame des Douleurs von Ungeduld ergriffen. Sie wußte nämlich von Frau von Jonquière, daß der Baron Suire vom Pater Fourcade für sie die Ermächtigung erhalten hatte, die Nacht vor der Grotte zuzubringen. Jede Minute drang sie mit Fragen in Schwester Hyacinthe.
»Liebe Schwester! Ich bitte Sie, ist es noch nicht neun Uhr?«
»Nein, mein Kind! Es ist kaum achteinhalb Uhr. Und sehen Sie, hier bringe ich einen guten Wollschal, in den Sie sich bei Tagesanbruch einwickeln können. Denn der Gave ist ganz nahe und die Morgenstunden sind frisch in diesem Berglande.«
»O liebe Schwester! Die Nächte sind so schön! Und dann schlafe ich so wenig in diesem Saal! Ich kann mich draußen wirklich nicht schlechter fühlen. Mein Gott, wie bin ich glücklich! Wie herrlich, die ganze Nacht mit der Heiligen Jungfrau zuzubringen.
Der ganze Saal war eifersüchtig auf sie. War es doch eine unaussprechliche Freude, die höchste Glückseligkeit, eine ganze Nacht vor der Grotte beten zu dürfen. Man sagte, die Auserwählten sähen im tiefen Frieden der Finsternis die Jungfrau. Aber es bedurfte hoher Beschützer, um eine solche Gunst zu erlangen. Die Patres erteilten sie nur noch ungern, seitdem mehrere Kranke gestorben waren, wie wenn sie in ihrer Verzückung hinübergeschlummert wären.
»Nicht wahr, mein Kind«, fuhr Schwester Hyacinthe fort, »Sie werden morgen früh, ehe man Sie zurückbringt, in der Grotte kommunizieren?«
Es schlug neun Uhr. Sollte Pierre, der so pünktlich, war, sie vergessen haben? Man sprach jetzt von der Fackelprozession, die sie vom Anfang bis zum Ende sehen würde, wenn sie sofort aufbräche. Die Zeremonien endigten jeden Abend mit einer ähnlichen Prozession, aber die vom Sonntag war stets die schönste, und man kündigte an, die Prozession des heutigen Abends würde
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