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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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die Stunde, zu der man sich wahrhaft wohl hier befindet. Wenn ich einige Tage in Lourdes zubringe, so lege ich mich selten vor dem Morgen zu Bett, weil ich gewohnt bin, hier die Nacht zuzubringen ... Es ist niemand mehr da, man befindet sich so allein, und nicht wahr, wie hübsch es ist! Man fühlt sich wie bei der Heiligen Jungfrau zu Hause.«
    Er lächelte mit der Miene eines gutmütigen Mannes und zeigte sich trotz seiner großen Frömmigkeit nicht im geringsten verlegen: er plauderte und gab Erklärungen mit der Vertraulichkeit eines Mannes, der weiß, daß er mit dem Himmel auf freundschaftlichem Fuße steht.
    »Sie betrachten die Kerzen ... Es brennen zu gleicher Zeit nahe an zweihundert Tag und Nacht hindurch; auf diese Art wird die Grotte schließlich geheizt ... Selbst im Winter ist es ganz warm hier.«
    Pierre ging im lauwarmen Geruch des Wachses in der Tat ein wenig der Atem aus. Geblendet durch die lebhafte Helligkeit, in die er eintrat, betrachtete er den großen Kerzenständer in der Mitte, der wie eine Pyramide gestaltet und ganz mit kleinen Kerzen bespickt war, so daß er einem flammenden, aus Sternen gebildeten Dreieck glich. Im Hintergrund hielt ein fast in der Höhe des Erdbodens angebrachter gerader Leuchter die dicken, in einer Linie von ungleicher Höhe wie Orgelpfeifen aufgesteckten Kerzen, von denen einige den Umfang eines Schenkels hatten. Noch andere Kerzenständer, die schweren Armleuchtern glichen, waren da und dort auf den Vorsprüngen des Felsens aufgestellt. Die Wölbung der Grotte senkte sich nach links, und dort war das Gestein wie angebrannt und schwarz gefärbt von den ewigen Flammen, die es seit Jahren erhitzten. Ununterbrochen ging ein Regen von Wachs wie unwahrnehmbarer Schneefall nieder. Die Schalen der Kerzenständer flossen davon über und nahmen von dem ohne Unterlaß sich verdickenden Staub eine weiße Färbung an. Der ganze Felsen war damit überzogen und fühlte sich fett an, besonders aber bedeckte den Boden eine solche Wachsschicht, daß Unfälle vorgekommen waren. Man hatte Strohmatten ausbreiten müssen, um zu vermeiden, daß jemand niederstürzte.
    »Sehen Sie diese dicken Kerzen dort?« fuhr der Baron Suire fort. »Das sind die teuersten, sie kosten sechzig Frank und brauchen einen Monat zum Verbrennen .... Die kleinsten, die fünf Sous kosten, brennen nur drei Stunden ... Oh, wir sparen nicht damit, wir haben keinen Mangel daran! Sehen Sie, hier sind noch zwei Körbe voll. Man hat keine Zeit gefunden, sie ins Lager zu bringen.«
    Dann erklärte er die einzelnen Möbelstücke: ein mit einem Überzug bedecktes Harmonium, ein Schrankgestell mit breiten Schubladen, in denen man die heiligen Gewänder verschloß, Bänke und Stühle, die man dem kleinen Vorzugspublikum vorbehielt, das in der Grotte während der Zeremonien zugelassen wurde, und schließlich ein sehr schöner, mit gravierten Silberplatten bedeckter verschiebbarer Altar. Es war das Geschenk einer hohen Dame. Übrigens wagte man ihn nur während der reichen Pilgerfahrten zu benützen, aus Besorgnis, die Feuchtigkeit könnte ihn verderben.
    Pierre wurde durch das Geschwätz des gefälligen Mannes gestört. Seine religiöse Erregung verlor dadurch an Kraft. Beim Eintritt in die Grotte hatte er trotz seines mangelnden Glaubens eine Unruhe, eine Art seelischen Schwankens erlitten, als ob das Geheimnis ihm jetzt offenbart werden sollte. Es war gleichzeitig ein banges und ein beseligendes Gefühl. Er sah Dinge, die ihn unendlich rührten: haufenweise zu den Füßen der Jungfrau niedergelegte Blumensträuße, kindliche Ex voto-Geschenke, kleine verblichene Schuhe, ein kleines eisernes Mieder, eine einem Spielzeug ähnliche, für eine Puppe passende Krücke.
    Unterhalb des natürliches Gewölbes, in dem die Erscheinungen sich gezeigt hatten, nämlich an der Stelle, an der die Pilger die Rosenkränze und Medaillen rieben, die sie weihen wollten, war der Felsen abgenützt und glattgeschliffen. Millionen von inbrünstigen Lippen hatten sich mit solcher Liebeskraft darauf gedrückt, daß der Stein verkalkt, schwarz geädert und glänzend wie Marmor geworden war.
    Nun aber blieb er im Hintergrund vor einer Höhlung stehen, in der sich eine beträchtliche Menge von Briefen und Papieren aller Art angehäuft befand.
    »Äh, ich vergaß!« begann der Baron Suire; »das ist ja das Interessanteste. Das sind die Briefe, die die Gläubigen täglich durch das Gitter in die Grotte werfen. Wir sammeln sie und legen sie da hinein. Es

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