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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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der Felsenwand auf einem Grund von schlammigem Kies langsam dahinfließendes Wasser, das klar und ohne Sprudel hervorquoll. Aber sie schien aus ziemlich weiter Entfernung zu kommen. Der Baron erklärte, man habe sie, um sie zu den Brunnen zu leiten, durch von Zement überdeckte Röhren kanalisiert. Er gestand sogar, daß man hinter den Weihern einen Behälter hatte anlegen müssen, um das Wasser während der Nacht aufzufangen, denn die geringe, von der Quelle gelieferte Menge hätte für die täglichen Bedürfnisse nicht genügt.
    »Wollen Sie das Wasser versuchen?« fragte er plötzlich. »Hier bei seinem Austritt aus der Erde ist es noch besser.«
    Pierre antwortete nicht, er betrachtete dieses ruhige, unschuldige Wasser, das im schwankenden Kerzenlicht goldene, bandförmige Reflexe zeigte. Wachstropfen fielen hinein und ließen es erzittern. Er dachte an alles das, was es Geheimnisvolles mit sich brachte.
    »Trinken Sie doch ein Glas davon!«
    Der Baron hatte ein Glas, das sich stets an Ort und Stelle befand, eingetaucht und gefüllt, der Priester mußte es leeren. Es war gutes, reines Wasser, ein so durchsichtiges und frisches Wasser, wie es aus allen Hochebenen der Pyrenäen in die Tiefe rieselt.
    Nachdem das Geheimschloß wieder befestigt war, nahmen beide ihren Platz auf der Bank wieder ein. Hinter sich hörte Pierre auf Augenblicke immer wieder die Quelle wie das leise Zwitschern eines verborgenen Vogels. Und nun sprach der Baron mit ihm von der Grotte und ihrer Geschichte zu den verschiedenen Jahreszeiten, in einer rührseligen Geschwätzigkeit voll kindlicher Einzelheiten.
    Der Sommer war die Zeit, zu der die auswärtigen, die großen Pilgerfahrten bildenden Massen, die Tausende von Wallfahrern zusammenströmten, die mit lärmendem Eifer beteten und schrien. Mit dem Herbst aber traten die Regen, die sintflutartigen Regengüsse ein, die viele Tage lang auf die Schwelle der Grotte niederklatschten. Dann kamen die Pilgerzüge aus weit entfernten Ländern an, es kamen Indier, Malayen und sogar Chinesen: kleine schweigsame und ekstatische Scharen, die auf einen Wink der Missionare im Kot niederknieten. Aus Frankreich selbst schickte die Bretagne von allen alten Provinzen die frömmsten Pilger hierher. Ganze Pfarren kamen herbei, die Männer in gleicher Zahl wie die Frauen, und die gute, gottesfürchtige Haltung, der einfache ehrbare Glaube waren dazu angetan, die Welt zu erbauen. Dann kam der Winter, der Dezember mit seiner schrecklichen Kälte und seinen dichten Schneefällen, die die Gebirgswege versperrten. Zu dieser Zeit nahmen die Pilger familienweise Wohnung in den Gasthöfen. Es kamen trotz allem jeden Morgen Gläubige zur Grotte, alle die nämlich, die den Lärm flohen und zu der Heiligen Jungfrau in einsamer, zärtlicher Innigkeit sprechen wollten. Es gab auch Pilger, die niemand kannte, die sich nur zeigten, wenn sie sicher waren, allein wie eifersüchtige Liebhaber in Inbrunst niederknien zu können, und die, durch das erste Herannahen der Menge verscheucht, sich wieder entfernten.
    Wie lieblich war die Grotte bei schlechtem Winterwetter! Bei Regen, im Wind und im Schneetreiben bewahrte sie ihren Flammenglanz. Sogar während der rasenden Sturmnächte, wenn keine Seele anwesend war, leuchtete sie hinaus in die leere Finsternis: sie brannte gleich einer Liebesglut, die nichts zu löschen vermochte.
    Der Baron erzählte, er hätte während der heftigen Schneestürme des vorigen Winters an dieser Stelle, auf der Bank, worauf er jetzt saß, ganze Nachmittage zugebracht. Es herrschte in der Grotte, obwohl sie nach Norden lag und das Sonnenlicht nie eindrang, dennoch eine liebliche Wärme. Ohne Zweifel erklärte der durch die Kerzen ununterbrochen erhitzte Felsen diese angenehme, milde Temperatur. Aber konnte man nicht überdies an eine Wohltat der Jungfrau glauben, die hier einen ewigen Mai walten ließ? Alle Finken der Nachbarschaft flüchteten sich hierher und flatterten im Efeu um die heilige Statue herum, wenn der Schnee ihre Krallen zu Eis erstarrte. Dann erwachte endlich wieder der Frühling. Der Gave wälzte mit Donnergetöse die geschmolzenen Schneemassen fort, der Saft schoß in die Bäume und machte sie wieder grün, während die zurückkehrenden Pilgermassen lärmend die leuchtende Grotte überfielen und die Vögelchen des Himmels daraus verjagten.
    »Ja, ja«, wiederholte der Baron Suire mit gedämpfter Stimme, »ich habe hier ganz allein entzückende Wintertage zugebracht ... Ich sah nur eine

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