Lourdes
uns!«
Das spielte sich dann in immer schnellerem Tempo ab:
»Reinste Mutter, keuscheste Mutter! Deine Kinder befinden sich zu deinen Füßen!«
»Reinste Mutter, keuscheste Mutter! Deine Kinder befinden sich zu deinen Füßen!«
»Königin der Engel! Sprich ein Wort, und unsere Kranken werden geheilt sein!«
»Königin der Engel! Sprich ein Wort, und unsere Kranken werden geheilt sein!«
Herr Sabathier befand sich auf der Kanzelseite in der zweiten Reihe. Er hatte sich zu früher Stunde herbringen lassen, da er sich seinen Platz auswählen wollte und als alter Besucher der Grotte die guten Ecken kannte. Dann schien es ihm auch von größtem Interesse, so nahe wie möglich unter den Augen der Jungfrau selbst zu sein, als ob sie nötig gehabt hätte, ihre Getreuen zu sehen, um sie nicht zu vergessen. Seit den sechs Jahren, die er hierherkam, nährte er übrigens nur den einen Wunsch, sich ihr eines Tages bemerkbar zu machen und sie endlich zu rühren, um seine Heilung, wenn nicht nach der Wahl, so doch nach der Altersordnung zu erlangen. Dazu brauchte er nur Geduld, und die Festigkeit seines Glaubens wurde dadurch nicht im geringsten erschüttert. Nur gestattete er sich als armer, in sein Schicksal ergebener und durch die immerwährende Hinausschiebung der Heilung ein wenig ermüdeter Mann manchmal Zerstreuungen. Er hatte es durchgesetzt, seine Frau bei sich behalten zu dürfen. Sie saß auf einem Feldstuhl, und er liebte es, mit ihr zu plaudern und ihr seine Betrachtungen mitzuteilen.
»Liebste!« sagte er, »hebe mich ein wenig empor! Ich gleite herunter und sitze sehr schlecht!«
Er war mit Hosen und Jacke aus grober Wolle bekleidet, saß auf seiner Matratze und lehnte den Rücken an einen umgekehrten Stuhl.
»Sitzest du jetzt besser?« fragte Frau Sabathier.
»Ja, danke...«
Dann interessierte er sich für den Bruder Isidor, den man endlich hergebracht hatte. Er lag auf der nächsten Matratze und hatte das Bettuch bis an das Kinn hinauf gezogen. Nur die auf der Decke gefalteten Hände befanden sich außerhalb des Bettes.
»Ach, der arme Mensch! Das ist sehr unklug! Aber die Heilige Jungfrau ist so mächtig, wenn sie nur will!«
Er nahm seinen Rosenkranz wieder vor, unterbrach sich aber aufs neue, da er Frau Maze bemerkte, die so dünn und verschwiegen in den reservierten Raum hineinglitt, daß sie zweifellos unter den Seilen durchgekommen war, ohne daß man sie gewahrte. Sie hatte sich auf das äußerste Ende einer Bank gesetzt und nahm dort nicht mehr Platz ein als ein kleines, recht artiges, unbewegliches Mädchen. Ihr langes Gesicht, die abgespannten Züge atmeten eine schrankenlose Trauer, eine unendliche Verlassenheit aus.
»Diese Dame dort betet um die Bekehrung ihres Gatten«, begann Herr Sabathier wieder, indem er sich an seine Frau wandte. »Du bist ihr diesen Morgen in einem Laden begegnet.«
»Ja, ja«, antwortete Frau Sabathier. »Und dann habe ich mit einer andern Dame, die sie kennt, von ihr gesprochen. Ihr Mann ist Reisender. Er lebt seit einem halben Jahr von ihr getrennt und geht mit liederlichen Frauen um. Oh, er ist ein sehr lustiger und netter Kerl, der es ihr nicht an Geld fehlen läßt. Aber sie betet ihn an, kann sich nicht in ihre Verlassenheit fügen und bittet nun die Heilige Jungfrau, ihn ihr wiederzugeben. In diesem Augenblick scheint er gerade mit zwei Damen in Luchon zu sein, den Schwestern ...«
Herr Sabathier unterbrach seine Frau mit einer Handbewegung. Er betrachtete die Grotte, und es erwachte in ihm wieder der Verstandesmensch, der alte Professor, den die Fragen der Kunst früher leidenschaftlich beschäftigt hatten.
»Sieh!« sagte er, »sie wollten die Grotte zu schön machen, und damit haben sie sie verdorben. Ich bin überzeugt, daß sie sich in ihrer einstigen scheuen Wildheit viel besser ausnehmen würde. Sie hat ihren eigentlichen Charakter eingebüßt. Und welch abscheuliche Bude haben sie da an der linken Seite angeklebt!«
Plötzlich kamen ihm aber Gewissensbisse wegen seiner Zerstreuung. Zeichnete die Heilige Jungfrau während dieser Zeit nicht einen aus seiner Nachbarschaft aus, der inbrünstiger war und sich besser benahm als er? Er wurde unruhig, fiel in seine Demut und Geduld zurück und erwartete gedankenlos, mit erloschenen Augen, was dem Himmel zu tun gefallen würde.
Übrigens versetzte ihn auch der laute Ruf einer neuen Stimme in diesen Zustand der Selbstdemütigung vor Gott, in dem der gelehrte Denker, der er einmal gewesen war, in ihm
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